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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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häßliche Vogel zu einem so hübschen Mädchen? Sie wissen sicher, Herr Professor, wie Stendhal die Kristallisation der Liebe beschreibt. Nie werde ich vergessen, wie Roswitha zu vorgerückter Stunde zum Plattenschrank ging. Meine Frau hätte wahrscheinlich eine Tingeltangel-Musik aufgelegt – Roswitha legte Schürmann auf… Nein, daß ich jetzt nicht lüge, es war Schubert, ja, sie legte seine ›Forelle‹ auf den Teller, ich entsinne mich genau. Es war, als spränge in diesem Augenblick ein Funke von ihr zu mir und umgekehrt. Wir liebten uns und wären wahrscheinlich auch heute noch zusammen. Doch zwischen uns lag der Schatten ihrer Eltern. Sie müssen wissen, daß Roswitha sehr in Abhängigkeit von den Eltern erzogen worden ist. Es kam zu Auseinandersetzungen, ein verheirateter Mann war für die Mutter eine Tragödie…«
»Sehr aufschlußreich«, kommentierte Grasmais. »Diese Roswitha weiß nicht, in welcher Situation Sie sich befinden?« Ich verneinte, schneuzte mich umständlich, wollte Zeit gewinnen. Der Chef schien Gefallen an meiner Version zu finden.
»Eine verzwickte Sache, mein Guter. Offenheit hätte Ihnen manches ersparen können. Nun, schlecht lebt es sich bei uns doch nicht. Dennoch…« Er wechselte auf einmal den Ton, sagte empört: »Ist denn das die Möglichkeit! Amüsiert sich fünfeinhalb Monate mit einem Weib und läßt sich für vermißt erklären. Jetzt werden Sie Ihrer Gattin wohl reinen Wein einschenken?«
»Natürlich«, versicherte ich rasch, »ich hätte es gleich tun sollen, aber die Umstände…«
Grasmais stand auf, ging einige Schritte hin und her. Endlich blieb er vor mir stehen, nickte und sagte: »Gut, geben Sie mir die Adresse dieser Kunststudentin, ich setze dann ein entsprechendes Schreiben auf.«
Vor dieser Aufforderung hatte ich mich gefürchtet. Ich sagte: »Ich möchte nicht, daß Roswitha hineingezogen wird, sie hat durch mich schon genug Schwierigkeiten gehabt.«
»Wie Sie wollen«, meinte er gleichmütig, »es ist Ihre Sache. Ihr Besuch war recht aufschlußreich für mich. Man lernt nie aus.«
Was meint er damit, überlegte ich, sollte das die einzige Reaktion sein? Ich erhob mich ebenfalls. »Darf ich Ihren Worten entnehmen, daß damit der Irrtum aufgeklärt ist, Herr Professor?«
Grasmais erwiderte beschwichtigend: »Wir wollen doch nichts überstürzen, mein Guter. Wie ich hörte, hatten Sie den Wunsch nach Lektüre geäußert. Ich möchte in Ihrem Fall eine Ausnahme machen. Meine Bibliothek steht Ihnen zur Verfügung.«
Er macht sich lustig über dich, schoß es mir durch den Kopf, er hat kein Wort geglaubt. Grasmais pries einige Buchtitel, griff einen Band heraus, es war etwas von Shakespeare. Niedergeschlagen fragte ich: »Soll das heißen, daß ich weiter hierbleiben muß?«
»Nicht so pessimistisch, mein Lieber, alles braucht seine Zeit…« Er war wieder ganz Onkel Doktor, legte seine gelben Finger auf meine Schulter und erläuterte: »Wir sind doch erst knapp drei Wochen hier, und ich muß mir doch ein Bild von Ihnen machen. Außerdem versäumen wir nichts. Kommen Sie, Herr Weyden, jetzt kramen wir gemeinsam in der Bibliothek. Haben Sie für Klassiker was übrig? Wie wäre es mit Hamlet? Oder möchten Sie lieber was Naturwissenschaftliches?«
Ich möchte dich auf einer elliptischen Bahn um die Sonne schicken! Beherrscht fragte ich: »Wie lange muß ich noch bleiben?«
Grasmais wiegte den Kopf. »So genau läßt sich das nicht sagen, mein Guter. Denken wir nicht daran, lösen wir uns vor allem von Vergangenem und Künftigem, versuchen wir, ganz Ich zu sein, ganz gegenwartsbezogen. Jetzt zum Beispiel sollte es für uns nichts Wichtigeres geben, als ein schönes spannendes Buch herauszusuchen. Wie wäre es zum Beispiel mit dem Mikrokosmos – mal was anderes…«
Großer, unsterblicher Me, erfülle mir den größten Wunsch meines Lebens; verdampfe diesen Professor, zerstrahle ihn, wandle ihn in thermische Energie um! Erbittert sagte ich: »Geben Sie mir das Strafgesetzbuch. Ich möchte wissen, wieviel Jahre auf Freiheitsberaubung stehen.«
Er schob das Buch ins Regal zurück. Sein Gesicht hatte professorale Strenge angenommen, und streng war auch sein Ton, als er mich aufforderte, Platz zu nehmen. Grasmais hatte sich hinter seinen Schreibtisch gesetzt, kramte in der Schublade.
Es interessierte mich nicht mehr, was er mir noch zu sagen hatte. Mein Versuch war fehlgeschlagen, ich hätte es mir vorher ausrechnen können. Trotzdem sagte ich in einer letzten

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