Zeit der Sternschnuppen
verzweifelten Aufwallung: »Sie glauben mir nicht, das finde ich sehr merkwürdig, denn andere, zum Beispiel Doktor Kaliweit, haben meine Lage begriffen. Es ist mir nicht klar, womit Sie Ihre Diagnose rechtfertigen wollen. Ich soll hierbleiben, damit Sie, um mit Shakespeare zu sprechen, ›in das Geheimnis meines Herzens dringen können‹. Versuchen Sie es, Professor. Lange werden Sie mich nicht hierbehalten können. Ich randaliere nicht, begegne jedem mit Anstand und Respekt. Was also werfen Sie mir vor? Die harmlose Geschichte mit dem Jupitermond und Aul? Ich habe mich davon distanziert. Wollen Sie es schriftlich haben?«
Ich hatte ruhig und sachlich gesprochen, glaubte für einen Augenblick sogar, Eindruck hinterlassen zu haben. Doch ich ahnte nicht, was auf mich zukam. Grasmais hatte sich einen Trumpf aufgehoben, eine Karte, von der ich nichts wußte. Nun spielte er sie mit vernichtender Sachlichkeit aus.
»Nicht schlecht ausgedacht«, begann er. »Andere haben also Ihre Lage begriffen. Nun gut, das ist das Manko der anderen. Mich können Sie mit solchen Mätzchen nicht an der Nase herumführen. Roswitha, unglückliche Ehe – lügt das Blaue vom Himmel herunter und glaubt allen Ernstes, der alte Grasmais läßt sich hinters Licht führen. Jetzt werde ich Ihnen mal was vorlesen, sperren Sie die Ohren auf…«
Grasmais zog ein Schreiben aus der Schublade und las:
»Liebe Aul, mein Sternschnuppchen! Diesen Brief übergibt meine Frau an Fritzchen. Seit meiner Rückkehr vom sechsten Mond sind für mich die unglücklichsten Umstände eingetreten. Ich kann nicht nachweisen, wo ich mich fünfeinhalb Monate aufgehalten habe. Dummerweise erzählte ich dann die Wahrheit. Seitdem werde ich von einem verrückten Professor auf meinen Geisteszustand untersucht. Doch das Schlimmste habe ich Dir noch nicht gesagt. Das Sendegerät wurde mir gestohlen. Aul, mein Sternenmädchen, Du kennst meine Adresse. Es müßte Fritzchen oder anderen Robotern doch möglich sein, mich hier rauszuholen. Frage am besten den unsterblichen Me um Rat. Ich warte auf ein Zeichen von Dir und umarme Dich.
Dein unglücklicher Hans«
Grasmais legte das Schreiben in die Schublade zurück.
Ich war bei seiner Lektüre zusammengesunken, glaubte, das Hohngelächter von Millionen Narren zu vernehmen. Johanna hatte meinen für Aul bestimmten Brief dem Professor ausgehändigt. Ich zweifelte nicht daran, daß sie es in der besten Absicht, in Sorge um mich getan hatte. Und der listige Grasmais hatte mich reden lassen und seine Studien getrieben. Mir war, als stünde ich entkleidet vor ihm, hilflos wie ein Kind, das von dem übermächtigen Erwachsenen für etwas bestraft wird, was es nicht begangen hat.
Am schlimmsten aber war, daß sich für mich von nun an jede weitere Erklärung verbot. Was immer ich auch sagen mochte, es mußte sich gegen mich richten. Während mir dies mit schrecklicher Deutlichkeit bewußt wurde, erfaßte mich zugleich eine tiefe Resignation. Alles hat seinen Preis, ging es mir fatalistisch durch den Kopf, und zu allem gibt es den Ausgleich, so wie dem Wellental der Wellenberg folgt. Nach der Freude die Trauer, nach dem Lachen das Weinen. Du hast ein Stück Zukunft gesehen, nun bezahlst du es mit dieser Gegenwart…
Der Professor saß wie ein Richter vor mir. »Nun, es war mir neu; daß es bereits eine Postverbindung zum Jupiter gibt. Doch das werden wir schon hinbekommen. Preisen Sie sich glücklich, eine so verständnisvolle Frau zu haben. Sie macht sich Sorgen um Ihre Gesundheit. Versuchen Sie doch um Himmels willen, Ihre spinnigen Gedanken zu verdrängen, wir sind doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Ab morgen werden wir es mal mit kaltem Wasser versuchen…«
Hätte ich die Macht dazu, würde ich dir einen Ring durch die Nase bohren… Aber wozu sich aufregen, er kann ja nichts dafür. Nur Kinder und naive Menschen erzählen alles geradeheraus. Ja, ich war ein rechter Einfaltspinsel gewesen, hatte geredet, wo Schweigen und List am Platze gewesen wären. Bedrückt sagte ich: »Sie haben recht, Herr Professor, ich habe unüberlegt gehandelt. Ich bedaure den Brief. Aber warum werten Sie die ganze Sache nicht als einen harmlosen Tick? Spielt nicht jeder einmal mit verrückten Gedanken? Welche Ungereimtheiten leisten Sie sich von Zeit zu Zeit, Herr Professor?«
Meine Frage verdroß ihn. »Solche Bemerkungen sollten Sie sich sparen, Herr Weyden. Sie unterstreichen damit nur die Labilität Ihres angegriffenen Gesundheitszustandes.
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