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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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zur normalen Lebensweise zurückkehrt…«
Er hat uns beobachtet, dachte ich, und er findet es in seiner biblischen Einfalt ganz natürlich. Warum eigentlich nicht? Unter der Kruste des sechsten Mondes, umgeben von einem kläglichen Rest, der ihm einst die Welt bedeutet hatte, war ein unschuldiges Liebesspiel gewiß das Harmloseste. Der Alte hatte sich neben mich gehockt. Fritz blieb wie ein Denkmal vor uns stehen. Nachdem ich nun die Ursache für Auls Verhalten kannte, besserte sich meine Stimmung ein wenig.
»Weißt du, mein Sohn«, begann der Alte, »ich erinnere mich mit Vergnügen und Wehmut an meine guten Jahre auf der Erde. Als ich jung und stark war, besaß ich ein Weib und vierzehn Kebsweiber dazu. Bei Nergal und Marduk, das war eine Zeit! Heute bin ich natürlich aus diesem Alter heraus, aber unter uns – mitunter macht mir die Erinnerung noch zu schaffen. Es müssen an die vierzig bis fünfzig Knaben und Mädchen gewesen sein, die meiner Lust und Kraft das Leben verdankten. Istar mag wissen, wo sie alle geblieben sind. Einige raffte der Krieg weg, andere starben an Krankheiten. Nur Aul ist mir geblieben. Ich habe nicht viel übrig für diesen Me, der zwischen den Sternen spazierenfliegt. Dennoch bin ich ihm zu Dank verpflichtet. Ohne ihn hätte der Krieg auch Aul und mich verschlungen. Sag, mein Sohn, ist es wahr, daß inzwischen viele Jahrhunderte auf der Erde vergangen sind? Ich kann das nicht begreifen, zähle ich doch erst fünfundsiebzig Jährchen.«
»Es ist wahr, Vater«, sagte ich, »deine Zeit ist vergessen. Nur in alten Folianten finden sich noch Berichte darüber. Die Menschen haben heute andere Sorgen.«
Sein Gesicht zeigte Unmut, seine Stimme klang ärgerlich, als Fritzchen dolmetschte: »Wie kann man eine solche Zeit vergessen? Seit Menschengedenken hat es kein größeres Jahrhundert gegeben als das Zeitalter, in dem ich geboren wurde. Ich war ein Jahr alt, als Nabupolassar mit den Verbündeten Ninive nahm, die größte, gewaltigste und sündhafteste Stadt der Erde. Hundert Fuß hoch war allein die Ringmauer um Ninive, und so breit war sie, daß drei Wagen darauf nebeneinander fahren konnten. Die Eroberung von Ninive war die größte militärische Leistung der Menschheitsgeschichte – und das sollte vergessen sein?«
»Man hat es nicht vergessen, Vater. Leider hat dein martialischer König dafür gesorgt, daß in Ninive kein Stein auf dem andern blieb. Mehr als ein Jahrhundert hat man gegraben, um von dieser Stadt eine Vorstellung zu erhalten…«
»Und doch war es gut, sie auszutilgen«, beteuerte er. »Hatte nicht hundert Jahre zuvor der tollwütige Sanherib unser herrliches Babel dem Erdboden gleichgemacht? Selbst die unschuldige Erde hat er abtragen und in alle Winde zerstreuen lassen. Aber der Größenwahnsinnige hat sich verrechnet; meine Vorfahren errichteten Babel schöner als je zuvor. Du weißt, daß der letzte Herrscher von Ninive, das wollüstige Schwein Sardanapal, einen Sündenpfuhl aus der Stadt machte. Uns zwang er den Schamasch-schum-ukin als König auf, und sein blöder Bruder, ein gewisser Assur-etil-schame-irsitiubalitsu, wurde sogar zum Oberpriester des Mondgottes ernannt. Sie hätten uns am liebsten noch für das Atmen eine Steuer auferlegt. Ninive mußte zerstört werden…«
Die zungenzerbrechenden Namen, die ihm so glatt über die Lippen gingen, entlockten mir ein Lächeln. Das phantastische Phänomen, einem Zeitgenossen längst vergangener, Kultur gegenüberzustehen, wurde mir bei dieser Unterhaltung gar nicht bewußt, zumal meine Kenntnisse auf dem Gebiet der Altertumsgeschichte höchst mangelhaft waren. Für den Alten dagegen war es selbstverständlich, daß mir sein Zeitalter gegenwärtig war. Deshalb deutete er mein Lächeln anders.
»Ich weiß, was du jetzt denkst, mein Sohn«, meinte er nachsichtig. »Zugegeben, Bil-sar-ussur war nicht weniger verkommen als Sardanapal. Ich bin mit dir einig, er hat das Erbe des Nebukadnezar schlecht verwaltet, war ein Säufer und Hurenbock. Doch ließ er Recht Recht sein, war loyal gegen die Gefangenen und beeinträchtigte unseren Handel nicht durch übermäßige Steuern. Auch hat er den gewaltigen Turm des Bel zu Ende geführt, dessen Spitze den Himmel berührte. Leider habe ich die Vernichtung des Kyros nicht mehr erleben können, weil es dem Me gefiel, mich und Aul hierherzuschaffen. Der naive Kyros belagerte unsere Stadt und glaubte allen Ernstes, sie einnehmen zu können. Hast du von der Schlacht und der Vernichtung des

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