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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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Kyros gehört?«
Gehört hatte ich davon, allerdings erst zweieinhalbtausend Jahre später. Aus dem Schulunterricht war mir in Erinnerung, daß der Perserkönig Kyros Babylon erobert hatte. Als ich dem Alten davon berichtete, wollte er mir zuerst nicht glauben. Dann geriet er in Rage, schimpfte auf Bil-sar-ussur und einige Regierungsmitglieder. Seine Verwünschungen waren von erstaunlicher Bildhaftigkeit. Er beruhigte sich erst wieder, als ich ihm versicherte, daß inzwischen auch Kyros wieder vertrieben worden sei.
Nach einigem Schweigen konstatierte er melancholisch: »Man hätte die Weissagungen des Aufwieglers nicht in den Wind schlagen dürfen. Er hat recht behalten.«
»Was für ein Aufwiegler?«
»Ein gewisser Esaias – behauptete, ein Prophet zu sein, verbreitete hartnäckig und mit Vorbedacht das Gerücht, Babylon würde durch Kyros zerstört werden. Er wollte bewußt unsere Widerstandskraft lähmen, und die Opposition klatschte ihm Beifall. Bil-sar-ussur hätte ihn köpfen lassen sollen. Doch dieser unglückselige Herrscher hat viele Fehler begangen. Wie konnte er zum Beispiel zulassen, daß man den bewährten Gott Merodach absetzte? Seit Jahrhunderten war Merodach der von allen verehrte Gott in Stadt und Land, hat meine Karawanen vor Dürre, meinen Palast vor dem Feuer des Himmels und meine Weiber vor der Untreue geschützt. Bil-sar-ussur aber erklärt ihn für abgesetzt. Ich kenne die Priester, die hinter dieser Intrige stecken…« Er murmelte etwas Unverständliches und ließ dann weiterdolmetschen: »Lassen wir dieses Thema, mein Sohn, es verfärbt mir die Galle, wenn ich nur daran denke. Erzähle mir von dir und deinem Land. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich von deinem Volke noch nie etwas gehört habe. Gibt es große Städte bei euch? Wie groß sind deine Felder, wie viele Zimmer hat dein Palast? Sicher besitzt du viele Sklaven und Kebsweiber…«
Die Zeitlücke in seinem Bewußtsein gab unserer Unterhaltung immer wieder infantile Wendungen. Dennoch – seine Fragen, so naiv sie sich im ersten Moment anhörten, brachten meine abendländische Selbstsicherheit ins Wanken. Ich konnte verstehen, daß er von meiner Heimat noch kein Sterbenswörtchen vernommen hatte. Als die Riesenstadt Ninive gebaut und später wieder zerstört wurde, als man in Babylon Kunst und Wissenschaften pflegte, Mond- und Sonnenfinsternisse berechnen konnte, lag der Nordwesten Europas noch in Finsternis. Meine Vorfahren jagten Wölfe und Bären, als Nebukadnezar sich Prunkbauten in Marmor und Gold errichten ließ. Von meinen Ahnen legen keine Ruinen einstiger Paläste Zeugnis ab. Die Menschheitsgeschichte war sehr unterschiedlich verlaufen, hatte sich im Zickzack bewegt. Ich bedauerte, mit meinem Gesprächspartner über ethnologische Entwicklungen nicht debattieren zu können, und begnügte mich damit, ihm etwas von der Gegenwart zu erzählen. Einiges war ihm durch seine Tochter bekannt, wenngleich vieles für ihn rätselhaft bleiben mußte. Die wulstige Unterlippe vorgeschoben, hörte er schweigend, doch mit wachsender Skepsis zu. Vielleicht erblickte er in mir eine Art Märchenerzähler, die zu seiner Zeit auf Plätzen und als Gäste in Palästen immer ein aufmerksames und dankbares Publikum gefunden hatten. Erst als ich vom Flugwesen und der Raumfahrt erzählte, von der Eroberung des Mondes und der erdnahen Planeten, übersetzte mir Fritzchen seine zweifelnden Zwischenbemerkungen.
Er hob scherzhaft den Zeigefinger. »Du willst doch nicht einem alten Mann am Barte zupfen, mein Sohn? Am Ende behauptest du noch, Me käme von der Erde.«
Ich beteuerte, ihm die Wahrheit gesagt zu haben.
»Demnach könntet ihr mit euren Raumschiffen hierherkommen und Aul und mich in meine Heimat zurückbringen?«
Damit müsse er noch ein halbes Jahrhundert warten, setzte ich ihm auseinander, Jupiter sei vorerst unerreichbar für uns.
Er lächelte nachsichtig, entschied sich nun doch, meine Angaben als Märchen aufzufassen, und meinte: »In stillen Stunden habe ich oft verrücktes Zeug geträumt. Ich machte mir Flügel und flog davon. Inzwischen habe ich mich mit dem Unabänderlichen abgefunden. Die Götter geben und nehmen, wie es ihnen beliebt. Es ist wohl auch gut, wenn ich mein Leben hier beschließe – was sollte ich jetzt auf der Erde anfangen? Die Zeit bewegt sich nur in einer Richtung. Keine Freunde mehr, kein lebendes Wesen, das mich wiedererkennen und in die Arme schließen würde. Mein herrlicher Palast eine Ruine wie die

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