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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Fischer, die barfuß und mit vor Erschöpfung hängenden Schultern ihre Netze zum Trocknen ausbreiteten, die nackten kleinen Jungen, die vom Kai ins Wasser sprangen. Er empfand ein beruhigendes Gefühl von Ewigkeit, wenn er den Fluss beobachtete. Vielleicht spielte es ja gar keine so große Rolle, wenn er eines Tages sterben musste?
    »Natürlich tut es das«, murmelte er vor sich hin und hob den Blick zum Abendhimmel. Die Venus leuchtete hell. Zeit zu gehen.
    Gewissenhaft blieb er nacheinander vor den aufgereihten Ratten stehen, um sie zu betasten und sich zu vergewissern, dass jeder Lebensfunke erloschen war, dann fegte er sie alle in einen Jutesack. Wenn er zum Hof der Wunder ging, würde er zumindest nicht mit leeren Händen kommen.
    JOAN WOLLTE EIGENTLICH immer noch nicht nach unten gehen, doch das Licht ließ jetzt nach, der Wind nahm rücksichtslos zu, und eine besonders hinterlistige Bö, die ihr die Röcke um die Taille wehte und ihr mit kalter Hand an den Hintern packte, entlockte ihr einen wenig würdevollen Aufschrei. Hastig strich sie ihre Röcke wieder glatt und steuerte dann auf die Leiter zu, gefolgt von Michael Murray.
    Es tat ihr leid, als sie ihn am Fuß der Leiter husten und sich die Hände reiben sah; sie hatte ihn frierend an Deck festgehalten, weil er zu höflich war, nach unten zu gehen und sie sich selbst zu überlassen – und sie zu egoistisch, um zu sehen, dass er fror, der Arme. Sie machte sich eilig einen Knoten ins Taschentuch, der sie daran erinnern sollte, dass sie als Buße eine zusätzliche Rosenkranzdekade beten würde, sobald sie dazu kam.
    Er begleitete sie zu einer Bank und sagte ein paar Worte auf Französisch zu der Frau, die neben ihr saß. Offenbar stellte er sie vor, so viel verstand sie noch – doch als die Frau dann nickte und antwortete, konnte sie nur noch mit offenem Mund dasitzen. Sie verstand kein Wort. Nicht ein einziges Wort.
    Michael begriff ihre Lage offensichtlich, denn er sagte etwas zu dem Ehemann der Frau, das sie von Joan ablenkte, und verwickelte beide in ein Gespräch, das es Joan ermöglichte, sich lautlos an die hölzerne Wand des Schiffes zurücksinken zu lassen. Sie schwitzte vor Verlegenheit.
    Nun, sie würde sich schon noch daran gewöhnen, beruhigte sie sich selbst. Sie musste es einfach. Entschlossen konzentrierte sie sich aufs Zuhören und machte sogar hier und dort ein Wort in dem Gespräch aus. Michael war einfacher zu verstehen; er sprach langsamer und schluckte nicht die zweite Hälfte jedes Wortes herunter.
    Gerade versuchte sie zu erraten, wie man wohl ein Wort buchstabierte, das sich wie »pfagwiemiarniähr« anhörte , was aber gewiss nicht stimmen konnte, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung auf der gegenüberliegenden Bank auffing – und ihr die gurgelnden Vokale im Hals stecken blieben.
    Dort saß ein Mann, vielleicht in ihrem Alter, fünfundzwanzig. Er war gut aussehend, wenn auch ein wenig schmal im Gesicht, anständig gekleidet – und er würde sterben.
    Ein grauer Schleier hing über ihm, als sei er in Nebel gehüllt, durch den sein Gesicht zu sehen war. Sie sah das nicht zum ersten Mal, den grauen Schatten, der auf dem Gesicht eines Menschen lag wie Nebel; hatte ihn schon zweimal gesehen und wusste sofort, dass es der Schatten des Todes war. Einmal war es bei einem älteren Mann gewesen, doch möglicherweise hatte es damals jeder sehen können, denn Angus MacWheen war krank. Aber dann hatte sie es nur ein paar Wochen später bei Vhairi Frasers zweitältestem kleinen Jungen gesehen, einem rotbäckigen Kleinkind mit süßen Speckbeinchen.
    Sie hatte es nicht glauben wollen. Weder, dass sie es sah, noch, was es bedeutete. Doch vier Tage später wurde der Kleine auf der Straße von einem Ochsen zertrampelt, der durch einen Hornissenstich wild geworden war. Sie hatte sich übergeben, als man es ihr erzählt hatte, und konnte tagelang vor Schmerz und Entsetzen nichts essen. Denn hätte sie es verhindern können, wenn sie es gesagt hätte? Und was – lieber Gott, was –, wenn es wieder geschah?
    Jetzt war es geschehen, und ihr Magen verkrampfte sich. Sie sprang auf und stürzte auf die Leiter zu, und der Franzose, der sich gerade mit langsamen Worten an sie gerichtet hatte, verstummte.
    Nicht schon wieder, nicht schon wieder! , dachte sie gequält. Warum zeigst Du mir so etwas? Was kann ich tun?
    Hektisch griff sie nach der Leiter, stieg hinauf, so schnell sie konnte, schnappte keuchend nach Luft, denn sie musste fort von dem

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