Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
einen zusammengefalteten Zettel aus der Tasche, wandte sich jedoch halb Rakoczy zu und zog fragend die Augenbraue hoch. Rakoczy winkte ihm fortzufahren und widmete sich der Betrachtung einer Spieluhr, die auf der Ladentheke stand – so groß wie ein Kuhschädel, gekrönt mit einer fast nackten Nymphe, die mit dem Hauch eines güldenen Schleiers behängt war und auf Pilzen und Blumen tanzte, begleitet von einem großen Frosch.
»Ein Messkelch«, sagte Murray, der das Blatt flach auf die Ladentheke gelegt hatte. Aus dem Augenwinkel konnte Rakoczy sehen, dass es eine Liste mit etlichen Namen war. »Es ist eine Spende für die Kapelle des Anges , im Gedenken an meinen verstorbenen Vater. Eine junge Cousine von mir ist gerade als Postulantin in den Konvent eingetreten«, erklärte er. »Daher hielt Monsieur Fraser dies für den besten Ort.«
»Eine exzellente Wahl.« Rosenwald ergriff die Liste. »Und Ihr hättet gern all diese Namen eingraviert?«
»Ja, wenn Ihr könnt.«
»Monsieur!« Rosenwald wedelte mit der Hand, in seiner Berufsehre beleidigt. »Das sind die Kinder Eures Vaters?«
»Ja, die Namen dort unten.« Murray beugte sich über die Ladentheke, und sein Finger glitt über die Zeilen, während er die fremdländischen Namen sorgfältig aufsagte. »Ganz oben stehen die Namen meiner Eltern: Ian Alastair Robert MacLeod Murray und Janet Flora Arabella Fraser Murray. Außerdem hätte ich – hätten wir, meine ich – gern auch diese beiden Namen: James Alexander Malcolm MacKenzie Fraser und Claire Elizabeth Beauchamp Fraser. Das sind mein Onkel und meine Tante. Mein Onkel hat meinem Vater sehr nahegestanden«, erklärte er. »Fast wie ein Bruder.«
Er fuhr fort zu reden, doch Rakoczy hörte nicht mehr zu. Er packte die Kante der Ladentheke, und es flackerte ihm vor den Augen, so dass ihn die Nymphe lüstern anzuschauen schien.
Claire Fraser . Das war der Name der Frau gewesen, und ihr Mann James, ein Highland-Lord aus Schottland. Er war es, dem der junge Mann ähnelte, obwohl er nicht so respekteinflößend wirkte wie … Aber La Dame Blanche! Sie war es, sie musste es sein.
Im nächsten Moment bestätigte es ihm der Goldschmied, denn er richtete sich von plötzlichem Argwohn erfüllt von der Liste auf, als könnte ihm einer der Namen von dem Zettel entgegenspringen und ihn beißen.
»Dieser Name – Eure Tante, sagt Ihr? Haben sie und Euer Onkel einmal in Paris gelebt?«
»Ja«, sagte Murray etwas überrascht. »Vor vielleicht dreißig Jahren – aber nur kurz. Habt Ihr sie gekannt?«
»Äh. Nicht persönlich, nein«, sagte Rosenwald und lächelte schief. »Aber man … kannte sie. Die Leute nannten sie La Dame Blanche.«
Murray blinzelte, sichtlich überrascht, das zu hören.
»Tatsächlich?« Er sah bestürzt aus.
»Ja, aber das ist alles lange her«, sagte Rosenwald hastig. Anscheinend glaubte er, zu viel gesagt zu haben. Er wies mit der Hand auf sein Hinterzimmer. »Wenn Ihr mir einen Moment Zeit lasst, Monsieur, ich habe sogar einen Messkelch hier, wenn Ihr ihn gern sehen würdet – und auch einen Hostienteller; ich könnte Euch mit dem Preis entgegenkommen, wenn Ihr beides nehmt. Sie wurden für einen Kunden angefertigt, der plötzlich verstarb, bevor der Kelch fertig war; er ist also kaum verziert – reichlich Platz für die Namen, und vielleicht setzen wir die, äh, Tante und den Onkel auf den Teller?«
Murray nickte interessiert, und auf Rosenwalds Geste hin umrundete er die Ladentheke und folgte dem Alten in sein Hinterzimmer. Rakoczy klemmte sich das achteckige Tablett unter den Arm und entfernte sich so leise wie möglich, während ihm der Kopf vor lauter Fragen brummte.
JARED BETRACHTETE MICHAEL über den Esstisch hinweg, schüttelte den Kopf und beugte sich über seinen Teller.
»Ich bin nicht betrunken!«, entfuhr es Michael, dann senkte auch er den Kopf, denn sein Gesicht brannte. Er konnte spüren, wie sich Jareds Blick in seinen Scheitel bohrte.
»Im Moment nicht, das stimmt.« Jareds Ton war nicht anklagend. Im Gegenteil, er war ruhig, beinahe gütig. »Aber du hast dich unlängst betrunken. Du hast dein Essen nicht angerührt, und du hast die Farbe von verdorbenem Wachs.«
»Ich …« Die Worte blieben ihm im Hals stecken, genau wie es das Essen getan hatte. Aale in Knoblauchsoße. Der Geruch stieg aus der Schüssel auf, und er stand plötzlich auf, um sich nicht zu übergeben oder in Tränen auszubrechen.
»Ich habe keinen Appetit, Vetter«, brachte er hervor, bevor er
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