Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
Haus – von außen. Doch der Gestank nach Krankheit, Urin und Kot umgab es wie ein würgender Schleier, und sie hofft, dass sie sich nicht auch übergeben würde. Die kleine Postulantin neben ihr, Schwester Miséricorde de Dieu, war so weiß wie ihr Schleier und hatte den Blick zu Boden gerichtet, den sie anscheinend aber gar nicht sah, denn sie trat geradewegs auf eine Schnecke und stieß einen kleinen Schreckensschrei aus, als sie sie unter ihrer Sandale zerquetschte.
Hastig wandte Joan den Blick ab; sie würde die Beherrschung der Blicke niemals meistern, dessen war sie sich sicher. Oder die Beherrschung ihrer Gedanken.
Es war nicht die Vorstellung kranker Menschen, die ihr Sorgen machte. Es war ja nicht das erste Mal, dass sie Kranke zu Gesicht bekam, und man würde nicht mehr von ihr erwarten, als dass sie sie wusch und fütterte; das würde ihr leichtfallen. Es war die Angst vor dem Anblick von Menschen, die sterben würden – denn in einem Hospital würde es gewiss viele davon geben. Und was würden ihr die Stimmen über sie sagen?
Zunächst jedoch hatten die Stimmen gar nichts zu sagen. Nicht ein einziges Wort, und nach einer Weile begann sie, ihre Nervosität zu verlieren. Sie konnte das, und zu ihrer Überraschung genoss sie das Gefühl, zu etwas imstande zu sein, in der Lage zu sein, einem Menschen die Schmerzen zu lindern, ihm zumindest ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken – und wenn ihr Französisch sie zum Lachen brachte (und das tat es), so lenkte es sie zumindest für einen Moment von ihren Schmerzen und Ängsten ab.
Es gab auch jene, die unter dem Schleier des Todes lagen. Doch es waren nur wenige, und irgendwie erschien es ihr hier sehr viel weniger erschreckend als damals, als sie es bei Vhairis Jungen oder dem jungen Mann auf dem Schiff gesehen hatte. Vielleicht war es Schicksalsergebenheit, vielleicht der Einfluss der Engel, nach denen das Hôpital benannt war … Joan wusste es nicht, doch sie stellte fest, dass sie keine Angst davor hatte, Menschen anzusprechen oder zu berühren, von denen sie wusste, dass sie sterben würden. Allerdings beobachtete sie zudem, dass die anderen Schwestern, selbst die Pflegerinnen sehr sanft mit diesem Menschen umgingen, und ihr kam der Gedanke, dass man nicht das Zweite Gesicht haben musste, um zu wissen, dass der Mann mit der Schwindsucht, dem die Knochen aus der Haut ragten, nicht mehr lange von dieser Welt sein würde.
Berühre ihn , sagte eine leise Stimme in ihrem Kopf. Spende ihm Trost.
»Also schön«, sagte sie und holte tief Luft. Sie hatte zwar keine Ahnung, wie man jemandem Trost spendete, doch sie wusch ihn, so sanft sie konnte, und überredete ihn, ein paar Löffel Porridge zu sich zu nehmen. Dann legte sie ihn bequem in sein Bett und strich ihm das Nachthemd und die dünne Bettdecke glatt.
»Danke, Schwester«, sagte er. Er ergriff ihre Hand und küsste sie. »Danke für Eure gütige Hand.«
An diesem Abend kehrte sie nachdenklich in den Postulantenschlafsaal zurück, jedoch mit dem seltsamen Gefühl, kurz vor einer wichtigen Entdeckung zu stehen.
In derselben Nacht
RAKOCZY LAG MIT DEM KOPF auf Madeleines Busen, die Augen geschlossen, und atmete den Duft ihres Körpers ein, spürte ihr ganzes Wesen zwischen seinen Handflächen, ein langsam pulsierendes Dasein aus Licht. Sie war aus sanftem Gold, durchzogen von Adern aus gleißendem Blau, ihr Herz dunkel wie ein Lapis unter seinem Ohr, ein lebendiger Stein. Und tief im Inneren ihr roter Schoß, offen und weich. Zuflucht und Nahrung. Verheißung.
Mélisande hatte ihn mit den Grundzügen der sexuellen Magie vertraut gemacht, und er hatte mit großem Interesse in einigen der älteren alchemistischen Texte davon gelesen. Doch mit einer Hure hatte er das noch nie ausprobiert – und es eigentlich auch jetzt nicht mit Absicht getan. Und doch war es geschehen. Geschah es. Er konnte sehen, wie sich das Wunder langsam vor ihm entfaltete, unter seinen Händen.
Wie seltsam , dachte er verträumt, während er zusah, wie die winzigen Spuren aus grüner Energie aufwärts in ihren Schoß schwärmten, langsam, jedoch unausweichlich. Er hatte gedacht, es würde auf der Stelle geschehen, dass der Samen eines Mannes seine Wurzel in der Frau fand, und das war’s. Doch das war ganz und gar nicht das, was hier geschah.
Es gab zwei Arten von Samen, wie er jetzt sah. Sie hatte den einen; er spürte ihn deutlich, einen hellen Lichtfleck, der leuchtete wie eine kräftige, winzige Sonne. Der seine – die
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