Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
Fabienne deinen Vertrag ab und nehme dich mit. Ich werde dir ein Haus kaufen.«
»Ein Haus ?« Sie bekam große Augen. Sie waren grün, tief und rein wie ein Smaragd, und er lächelte sie noch einmal an und trat dann einen Schritt zurück.
»Natürlich. Jetzt geh schlafen, meine Liebe. Ich komme morgen wieder.«
Sie warf die Arme um ihn, und er löste sich unter Schwierigkeiten, aber lachend aus ihrer Umarmung. Normalerweise war körperliche Erleichterung das Einzige, was er empfand, wenn er das Bett einer Hure verließ. Doch was er getan hatte, hatte ihn auf eine Weise mit Madeleine verbunden, wie er es mit keiner Frau außer Amélie je empfunden hatte. Nun … und mit Mélisande, wenn er recht darüber nachdachte …
Mélisande. Ein plötzlicher Gedanke durchfuhr ihn wie der Funke aus einem Leydener Glas. Mélisande.
Er sah Madeleine scharf an. Sie hatte ihr Nachthemd beiseitegeworfen und kroch jetzt glücklich ins Bett, nackt und weiß. Dieser Hintern … die Augen, das weiche blonde Haar, golden-weiß wie frische Sahne.
» Chérie «, sagte er so beiläufig wie möglich, während er sich die Hose anzog. »Wie alt bist du eigentlich?«
»Achtzehn«, sagte sie, ohne zu zögern. »Warum, Monsieur?«
»Ah. Ein wundervolles Alter, um Mutter zu werden.« Er zog sich das Hemd über den Kopf und warf ihr erleichtert einen Handkuss zu. Er hatte 1744 mit Mélisande Robicheaux verkehrt. Er hatte also doch keinen Inzest mit seiner eigenen Tochter begangen.
Erst als er auf dem Weg ins Freie an Madame Fabiennes Salon vorüberschritt, kam ihm der Gedanke, dass Madeleine immer noch seine Enkeltochter sein konnte. Dieser Gedanke ließ ihn innehalten, doch ihm blieb keine Zeit, sich weiter damit zu befassen, denn Fabienne erschien in der Tür und winkte ihm zu.
»Eine Nachricht, Monsieur«, sagte sie, und ihre Stimme berührte seinen Nacken mit einem kalten Finger.
»Ja?«
»Monsieur Grenouille erbittet morgen um Mitternacht Eure Gesellschaft. Auf dem Platz vor Notre Dame de Paris.«
AUF DEM MARKT brauchten sie sich nicht in der Beherrschung der Blicke zu üben. Stattdessen ermahnte Schwester George-Mary, die kräftige Nonne, die diese Expeditionen beaufsichtigte, sie sogar mit deutlichen Worten, mit Adleraugen auf betrügerische Händler und Wucherpreise zu achten, ganz zu schweigen von Taschendieben.
»Taschendiebe, Schwester?«, hatte Miséricorde gesagt, und ihre blonden Augenbrauen waren fast in ihrem Schleier verschwunden. »Aber wir sind doch Nonnen – mehr oder weniger«, fügte sie hastig hinzu. »Bei uns gibt es doch nichts zu stehlen!«
Schwester Georges kräftiges rotes Gesicht wurde noch röter, doch sie behielt die Geduld.
»Normalerweise wäre das richtig«, stimmte sie zu. »Aber wir – oder vielmehr ich – haben das Geld dabei, mit dem wir unser Essen kaufen, und wenn wir es gekauft haben, werdet ihr es tragen. Ein Taschendieb stiehlt, um zu essen, n’est -ce pas ? Es ist ihm gleichgültig, ob ihr Geld habt oder etwas zu essen, und die meisten Taschendiebe sind so heruntergekommen, dass sie mit Freuden sogar Gott selbst bestehlen würden, von ein paar einfältigen Postulantinnen ganz zu schweigen.«
Was Joan betraf, so wollte sie alles sehen, einschließlich der Taschendiebe. Zu ihrer Begeisterung war es derselbe Markt, an dem sie an ihrem ersten Tag in Paris mit Michael vorbeigekommen war. Natürlich brachte der Anblick zugleich die Schrecken und Zweifel dieses ersten Tages zurück – doch die schob sie vorerst beiseite und folgte Schwester George mitten in den faszinierenden Mahlstrom aus Farben, Gerüchen und Geschrei.
Während sie sich einen besonders unterhaltsamen Ausdruck einprägte, den sie sich später von Schwester Philomène erklären lassen wollte – Schwester Philomène war etwas älter als Joan, aber furchtbar schüchtern, und ihre Haut war so zart, dass sie beim geringsten Anlass errötete wie ein Apfel –, folgte sie Schwester George und Schwester Mathilde über den Fischmarkt, wo Schwester George geschickt einen guten Preis für eine große Menge Schollen, Jakobsmuscheln, kleine durchsichtige graue Krabben und einen riesigen Seelachs aushandelte, dessen Schuppen durch das blasse Frühlingslicht in Farben getaucht wurden, die so subtil von Rosa in Blau in Grau und wieder zurück wechselten, dass einige überhaupt keinen Namen hatten – so wunderschön selbst im Tod, dass Joan vor Freude über das Wunder der Schöpfung den Atem anhielt.
»Oh, heute Abend gibt es
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