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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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soll diese befragen sowie jede andere Person, die es wünscht, und so soll es die Umstände klären, und falls es zu einer Verurteilung kommt, auch die Strafe.«

    Diese sehr vage Formulierung war anscheinend alles, was für die Vorgehensweise eines Kriegsgerichts existierte – zumindest war sie alles, was Hal in dem kurzen Zeitraum bis zu seiner Abreise hatte auftreiben können. Es gab keine offiziellen Gesetze, die solche Gerichtsverfahren regelten, und das Zivilrecht fand hier keine Anwendung. Die Armee war – wie üblich, dachte Grey – ihr eigenes Gesetz.
    Daher war es möglich, dass er beträchtlichen Freiraum bei der Durchsetzung von Charlie Carruthers’ Wünschen haben würde – oder aber auch nicht, je nach dem Charakter und den beruflichen Allianzen der Offiziere, die das Gericht bildeten. Besser, wenn er so bald wie möglich herausfand, wer diese Männer waren.
    Unterdessen hatte er noch eine weitere kleine Verpflichtung.
    »Tom«, rief er, während er in seinem Koffer kramte, »habt Ihr Hauptmann Stubbs’ Quartier ausfindig gemacht?«
    »Ja, Mylord. Und wenn Ihr damit aufhört, Eure Hemden zu ruinieren, verrate ich es Euch.« Mit einem tadelnden Blick auf seinen Herrn schob ihn Tom sanft, aber bestimmt beiseite. »Was sucht Ihr überhaupt?«
    »Die Miniatur meiner Cousine mit ihrem Kind.« Grey trat einen Schritt zurück, so dass sich Tom über die offene Truhe beugen und die misshandelten Hemden sorgfältig wieder in Falten legen konnte. Der Schrankkoffer war zwar heftig angesengt, doch es war den Soldaten gelungen, ihn zu retten – und damit Greys Garderobe, was Tom außerordentlich erleichterte.
    »Hier, Mylord.« Tom zog das kleine Paket heraus und reichte es Grey behutsam hinüber. »Mit meinen besten Wünschen an Hauptmann Stubbs. Er wird sich sicher freuen. Der Kleine ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, nicht wahr?«
    Selbst mithilfe von Toms Wegbeschreibung dauerte es eine Weile, Malcolm Stubbs’ Quartier ausfindig zu machen. Die Adresse – sofern man es so bezeichnen konnte – lag im ärmeren Teil der Stadt irgendwo an einem matschigen Sträßchen, das abrupt am Fluss endete. Grey war überrascht; Stubbs war ein geselliger Mensch und ein gewissenhafter Offizier. Warum hatte man ihn nicht in einem Wirtshaus oder einem ordentlichen Privathaus in der Nähe seiner Männer untergebracht?
    Als er die Straße fand, hatte er längst ein ungutes Gefühl; dies verstärkte sich noch, als er sich vorsichtig seinen Weg durch die baufälligen Hütten und die Knäuel verdreckter, polyglotter Kinder bahnte, die bei seinem Anblick neugierig ihr Spiel abbrachen und ihm unter unverständlichem Gezischel folgten, die ihn aber verständnislos und mit offenen Mündern anstarrten, als er sich nach Hauptmann Stubbs erkundigte und zur Illustration erst auf seine Uniform, dann fragend auf ihre Umgebung zeigte.
    Er war fast am Ende der Gasse angelangt, und seine Stiefel waren mit Schlamm, Dung und einer dicken Schicht des Laubes verkrustet, das als unablässiger Regen von den riesigen Bäumen sank, bevor er jemanden fand, der bereit war, ihm zu antworten. Es war ein betagter Indianer, der friedlich auf einem Felsen am Flussufer saß und angelte. Der Mann sprach eine Mischung aus drei oder vier Sprachen, von denen Grey nur zwei verstand, doch dieses grundsätzliche Verständnis reichte aus.
    » Un, deux, trois , im Hinterhof«, sagte ihm der Alte und zeigte mit dem Daumen erst die Gasse hinaus, dann seitwärts. Es folgte etwas in einer Eingeborenensprache, aus dem Grey einen Hinweis auf eine Frau herauszuhören glaubte – zweifellos die Eigentümerin des Hauses, in dem Stubbs einquartiert war. Ein abschließendes » le bon Capitaine « schien diesen Eindruck noch zu verstärken, und nachdem er dem Mann auf Französisch und Englisch gedankt hatte, ging Grey drei Häuser weit zurück, wobei ihm hartnäckig die Schlange neugieriger Straßenkinder wie der Schweif eines Drachens folgte.
    Niemand antwortete auf sein Klopfen. Also ging er um das Haus herum – gefolgt von den Kindern – und entdeckte dahinter eine kleine Hütte, aus deren grauem Steinkamin Rauch aufstieg.
    Es war ein herrlicher Tag mit saphirblauem Himmel, und ein Hauch von frühem Herbst lag in der Luft. Die Tür der Hütte stand einen Spaltbreit offen, um die kühle, frische Luft einzulassen, doch er drückte sie nicht auf. Stattdessen zog er seinen Dolch aus dem Gürtel und klopfte mit dem Griff – unter den bewundernden Lauten seiner

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