Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
Miene.
    » Bon «, sagte sie und ließ die Tür abrupt aufschwingen. »Er kann Freunde brauchen.«
    Er stieg zwei enge Treppenfluchten zu Carruthers’ Dachkammer hinauf und spürte, wie es immer wärmer wurde. Um diese Tageszeit war es angenehm, doch nachmittags musste es drückend werden. Er klopfte an und empfand einen freudigen Stich, als er Carruthers’ Stimme erkannte, die ihn ins Zimmer bat.
    Carruthers saß in Hemdsärmeln und Hose an einem wackligen Tisch und schrieb, ein Tintenfässchen aus einem Kürbis an der einen Seite, einen Bierkrug an der anderen. Im ersten Moment sah er Grey verständnislos an, dann leuchtete sein Gesicht auf, und er erhob sich so abrupt, dass er beide Gefäße beinahe umgeworfen hätte.
    »John!«
    Bevor ihm Grey die Hand hinhalten konnte, fühlte er sich schon umarmt – und erwiderte die Umarmung von ganzem Herzen, durchspült von einer Flut der Erinnerungen, als er Carruthers’ Haar roch und das Kratzen seiner ungewaschenen Wange auf der seinen spürte. Doch inmitten all dieser Empfindungen spürte er, wie leicht Carruthers’ Körper war, spürte die Knochen, die sich unter seinen Kleidern abzeichneten.
    »Ich hätte nie gedacht, dass du kommen würdest«, wiederholte Carruthers etwa zum vierten Mal. Er ließ los, trat einen Schritt zurück und lächelte, während er sich mit dem Handrücken über die unverhohlen feuchten Augen fuhr.
    »Nun, du hast meine Anwesenheit einem Zitteraal zu verdanken«, sagte Grey und lächelte ebenfalls.
    »Einem was?« Carruthers starrte ihn verständnislos an.
    »Lange Geschichte – später. Erst einmal – was zum Teufel hast du getrieben, Charlie?«
    Das Glück in Carruthers’ hagerem Gesicht verblasste zwar, doch es verschwand nicht ganz. »Ah. Nun ja. Das ist auch eine lange Geschichte. Lass mich Martine bitten, frisches Bier zu holen.« Er winkte Grey, sich auf den einzigen Hocker im Zimmer zu setzen, und ging, bevor Grey protestieren konnte. Er setzte sich vorsichtig hin, damit der Hocker nicht zusammenbrach, doch dieser hielt sein Gewicht. Abgesehen von Hocker und Tisch war das Zimmer sehr schlicht möbliert; ein schmales Bett, ein Nachttopf und ein alter Waschtisch mit Krug und Schüssel aus Keramik komplettierten das Ensemble. Es war sehr sauber, doch ein Geruch hing schwach in der Luft – etwas widerlich Süßes, das er umgehend zu einer verkorkten Flasche an der Rückseite des Waschtisches zurückverfolgte.
    Nicht dass er den Laudanumgeruch gebraucht hätte; ein Blick in Carruthers’ ausgemergeltes Gesicht hatte ihm genug gesagt. Er kehrte zu dem Hocker zurück und betrachtete die Papiere, an denen Carruthers gearbeitet hatte. Es schienen Notizen zur Vorbereitung auf das Kriegsgericht zu sein; das obere Blatt war die Schilderung einer Expedition eines Soldatentrupps unter Carruthers’ Kommando, auf Befehl eines gewissen Major Gerald Siverly.
    »Unser Befehl lautete, zu einem Dorf namens Beaulieu zu marschieren, etwa zehn Meilen östlich von Montmorency, dort die Häuser zu plündern und in Brand zu setzen und sämtliche Tiere, denen wir begegneten, zu vertreiben. Das haben wir getan. Einige der Männer aus dem Dorf haben Widerstand geleistet, bewaffnet mit Sensen und anderen Werkzeugen. Zwei von ihnen wurden erschossen, die anderen flüchteten. Wir sind mit zwei Wagenladungen Mehl, Käse und kleinen Haushaltsgegenständen zurückgekehrt, drei Kühen und zwei guten Maultieren.«

    Weiter kam Grey nicht, bevor sich die Tür öffnete.
    Carruthers trat ein, setzte sich auf das Bett und wies kopfnickend auf die Papiere.
    »Ich dachte, am besten schreibe ich alles auf. Für den Fall, dass ich das Kriegsgericht nicht mehr erlebe.« Sein Ton war beiläufig, und als er Greys Miene sah, lächelte er schwach. »Mach dir keine Gedanken, John. Ich habe immer schon gewusst, dass ich nicht alt werde. Das hier«, er hob die rechte Hand und ließ die viel zu weite Manschette seines Hemdes zurückfallen, »ist noch nicht alles.«
    Er tippte sich sanft mit der linken Hand an die Brust.
    »Mir hat schon mehr als ein Arzt gesagt, dass ich einen schlimmen Herzfehler habe. Ich weiß nicht genau, ob ich davon vielleicht auch zwei habe«, er grinste Grey an, dieses plötzliche, bezaubernde Grinsen, an das er sich so gut erinnerte, »oder nur ein halbes oder was auch immer. Früher bin ich hin und wieder ohnmächtig geworden, aber es wird schlimmer. Manchmal spüre ich, wie es aufhört zu schlagen und in meiner Brust zuckt. Mir wird schwarz vor Augen,

Weitere Kostenlose Bücher