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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Sicht.
    »General Wolfe?«, sagte er.
    »Der General …«, sagte der Adjutant und schluckte krampfhaft. »Er wurde getroffen.«
    Natürlich wurde er getroffen, der alberne Esel , dachte Grey wenig mitfühlend. Steht da oben wie eine verflixte Zielscheibe, was hat er denn erwartet? Doch dann sah er die Tränen, die dem Adjutanten in den Augen standen, und begriff.
    »Tot also?«, fragte er stupide, und der Adjutant – warum war es ihm nur nie in den Sinn gekommen, den Mann nach seinem Namen zu fragen? – nickte und rieb sich mit dem rauchfleckigen Ärmel über das rauchfleckige Gesicht.
    »Er … zuerst ins Handgelenk. Dann in den Körper. Er ist hingefallen und gekrochen, dann ist er wieder hingefallen. Ich habe ihn umgedreht … habe ihm gesagt, dass die Schlacht gewonnen war, die Franzosen zersprengt.«
    »Er hat es verstanden?«
    Der Adjutant nickte und holte rasselnd Luft. »Er hat gesagt …« Er hielt inne und hustete, dann fuhr er mit festerer Stimme fort. »Er hat gesagt, dank des Wissens um diesen Sieg sei er es zufrieden zu sterben.«
    »Hat er das?«, sagte Grey ausdruckslos. Er hatte schon oft Männer sterben sehen und hielt es für sehr viel wahrscheinlicher, dass James Wolfes letztes Wort, falls er außer einem unartikulierten Stöhnen noch etwas herausgebracht hatte, wahrscheinlich eher »Mist« oder »oh Gott« gewesen war, je nach der religiösen Orientierung des Generals, über die Grey nicht im Bilde war.
    »Ja, gut«, sagte er sinnloserweise und wandte sich selbst der Festung zu. Männer strömten wie auf Ameisenpfaden darauf zu, und inmitten einer solchen Kolonne sah er Montcalms Flagge im Wind wehen. Darunter ritt winzig klein in der Ferne ein Mann in einer Generalsuniform, ohne Hut, im Sattel vornübergebeugt und schwankend, eng umringt von seinen Offizieren, damit er nicht fiel.
    Die britischen Linien sammelten sich erneut, obwohl es klar war, dass kein weiterer Kampf mehr nötig war. Heute jedenfalls nicht. In seiner Nähe sah er den hochgewachsenen Offizier, der ihm das Leben gerettet und ihm geholfen hatte, Malcolm Stubbs in Sicherheit zu bringen, zu seinen Männern zurückhumpeln.
    »Der Major dort drüben«, sagte er und stieß den Adjutanten kopfnickend an. »Wisst Ihr seinen Namen?«
    Der Adjutant blinzelte, dann richtete er sich auf.
    »Ja, natürlich. Das ist Major Siverly.«
    »Oh. Wer hätte es auch anders sein können?«
    DA WOLFE UND SEIN Stellvertreter, Brigadier Monckton, in der Schlacht umgekommen waren, akzeptierte Admiral Holmes, sein zweiter Stellvertreter, drei Tage später die Kapitulation von Quebec. Auch Montcalm war tot; er war am Morgen nach der Schlacht gestorben. Es gab keinen Ausweg für die Franzosen außer der Kapitulation; der Winter war im Anmarsch, und Stadt und Festung würden lange vor ihren Belagerern Hungers sterben.
    Zwei Wochen nach der Schlacht kehrte John Grey nach Gareon zurück und stellte fest, dass die Pocken wie der Herbstwind durch den Ort gefegt waren. Die Mutter von Malcolm Stubbs’ Sohn war tot; ihre Mutter bot ihm an, ihm das Kind zu verkaufen. Er bat sie höflich zu warten.
    Charlie Carruthers war ebenfalls gestorben. Die Pocken hatten nicht abgewartet, bis ihn die Schwäche seines Körpers überwältigte. Grey ließ seine Leiche verbrennen, weil er nicht wollte, dass Carruthers’ Hand gestohlen wurde, denn sowohl die Indianer als auch die Ortsbewohner betrachteten derartige Dinge abergläubisch. Er nahm sich ein Kanu, und auf einer verlassenen Insel im St.-Lorenz-Strom streute er die Asche seines Freundes in den Wind.
    Bei seiner Rückkehr von dieser Expedition fand er einen Brief vor, den ihm Hal nachgesandt hatte, von Mr. John Hunter, Arzt. Er prüfte den Pegel des Brandys in der Karaffe und öffnete ihn mit einem tiefen Seufzer.
    Mein lieber Lord John,

    ich habe unlängst ein Gespräch mitgehört, in dem es um Mr. Nicholls’ unglücklichen Tod im letzten Frühjahr ging, und es wurde angedeutet, in der Öffentlichkeit werde angenommen, dass Ihr für seinen Tod verantwortlich seid. Solltet Ihr diese Annahme teilen, dachte ich, es erleichtert Euch vielleicht zu erfahren, dass Ihr es nicht seid.

    Grey sank langsam auf einen Hocker, den Blick gebannt auf das Blatt gerichtet.
    Es ist wahr, dass Eure Kugel Mr. Nicholls getroffen hat, doch dieser Unfall hat kaum oder gar nicht zu seinem Ableben beigetragen. Ich sah Euch aufwärts in die Luft schießen – was ich damals auch zu den Anwesenden gesagt habe, obwohl die meisten von ihnen

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