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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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keine große Notiz davon zu nehmen schienen. Die Kugel ist anscheinend leicht schräg aufgestiegen und dann von oben auf Mr. Nicholls gefallen. Zu diesem Zeitpunkt besaß sie kaum noch Energie, und da die Kugel selbst kaum von nennenswerter Größe oder Gewicht war, durchbohrte sie gerade eben die Haut oberhalb seines Schlüsselbeins, wo sie auf dem Knochen stecken blieb, ohne weiteren Schaden anzurichten.

    Der wahre Grund für seinen Kollaps und seinen Tod war ein Aneurysma, eine Schwachstelle eines der großen Blutgefäße, die aus dem Herzen kommen; so etwas ist oft angeboren. Der Schock des elektrischen Schlags und die Aufregung des folgenden Duells haben dieses Aneurysma offensichtlich zum Platzen gebracht. Ein solches Vorkommnis ist unheilbar, und es ist unausweichlich tödlich, fürchte ich. Es gibt nichts, was ihn hätte retten können.

    Euer Diener,

    John Hunter, Arzt

    Grey war sich einer außerordentlichen Vielfalt von Gefühlen bewusst. Erleichterung, ja, er empfand tiefe Erleichterung, wie ein Mensch, der aus einem Alptraum erwacht. Außerdem ein Gefühl der Ungerechtigkeit, überlagert von beginnender Entrüstung; bei Gott, er hätte um ein Haar geheiratet! Er hätte natürlich als Resultat dieses Zwischenfalls auch verstümmelt oder getötet werden können, doch das schien ihm weniger von Bedeutung zu sein; er war schließlich Soldat – so etwas kam vor.
    Seine Hand zitterte etwas, als er den Brief niederlegte. Jenseits von Erleichterung, Dankbarkeit und Entrüstung regte sich zunehmendes Entsetzen.
    Ich dachte, es erleichtert Euch vielleicht … Er konnte Hunters Gesicht bei diesen Worten sehen; mitfühlend, intelligent und fröhlich. Es war eine unverblümte Bemerkung, die sich ihrer eigenen Ironie jedoch sehr wohl bewusst war.
    Ja, es freute ihn zu hören, dass er nicht an Edwin Nicholls’ Tod schuld war. Doch der Weg zu diesem Wissen … Er bekam eine Gänsehaut und erschauerte unwillkürlich, als er sich vorstellte …
    »Oh Gott«, sagte er. Er war einmal bei Hunter zu Hause gewesen – bei einer Dichterlesung auf Einladung von Mrs. Hunter, die für ihre Salons berühmt war. Dr. Hunter wohnte diesen nicht bei, doch hin und wieder kam er aus seinem Teil des Hauses herunter, um einige Gäste zu begrüßen. Auch diesmal war es so gewesen, und im Lauf eines Gesprächs mit Grey und einigen anderen wissenschaftlich interessierten Herren hatte er diese nach oben eingeladen, um sich einige der interessanteren Objekte seiner berühmten Sammlung anzusehen: den Hahn, in dessen Kamm ein verpflanzter menschlicher Zahn wuchs, das zweiköpfige Kind, den Fötus, aus dessen Bauch ein Fuß wuchs.
    Die Wände voller Gläser mit Augäpfeln, Fingern, Leberstücken hatte Hunter nicht angesprochen … oder die zwei oder drei vollständigen menschlichen Skelette, die an der Decke hingen, mit einem Bolzen in der Schädeldecke befestigt. Damals war Grey nicht auf den Gedanken gekommen, sich zu fragen, woher Hunter sie hatte oder wie er daran gekommen war.
    Nicholls fehlte ein Eckzahn, und der Vorderzahn neben der Lücke hatte einen großen Sprung. Falls er Hunters Haus noch einmal besuchte … ob er dort einen Schädel mit einer Zahnlücke vorfinden würde?
    Er griff nach der Brandykaraffe, entkorkte sie und trank direkt daraus. Er schluckte langsam und wiederholt, bis das Bild vor seinem inneren Auge allmählich verschwand.
    Sein kleiner Tisch war mit Papieren übersät, darunter auch unter dem Briefbeschwerer aus Saphir das ordentlich verschnürte Päckchen, das ihm die Witwe Lambert mit tränenfleckigem Gesicht gereicht hatte. Er legte die Hand darauf und spürte Charlies doppelte Berührung zärtlich in seinem Gesicht, sanft an seinem Herzen.
    Du wirst mich nicht im Stich lassen.
    »Nein«, sagte er leise. »Nein, Charlie, das werde ich nicht.«
    Mit Manokes Hilfe als Übersetzer kaufte er das Kind nach langwierigen Verhandlungen für zwei goldene Guineen, eine leuchtend bunte Decke, ein Pfund Zucker und ein kleines Fässchen Rum. Das Gesicht der Großmutter war eingefallen, nicht vor Trauer, dachte er, sondern vor Unzufriedenheit und Erschöpfung. Nach dem Tod ihrer Tochter, die an den Pocken gestorben war, würde ihr Leben härter werden. Die Engländer, so ließ sie Grey durch Manoke mitteilen, waren geizige Kerle; die Franzosen waren viel großzügiger. Er widerstand dem Impuls, ihr noch eine Guinee zu geben.
    Es war jetzt Spätherbst, und das Laub war vollständig gefallen. Die nackten Äste der Bäume

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