Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
ihm Dawes. »Ich bin sicher, dass er sich inzwischen vollständig erholt hat; diese kleinen nervösen Anfälle sind nie von langer Dauer.«
»Wodurch werden sie denn ausgelöst?« Ein würziger Duft nach Johannisbeeren, Zwiebeln und Gewürzen wehte die Treppe herauf, und Grey beschleunigte seine Schritte.
»Oh …« Dawes, der neben ihm hereilte, warf ihm einen Seitenblick zu. »Es ist nichts. Nur, dass Seine Exzellenz eine, äh, etwas morbide Fantasie hat, was Reptilien betrifft. Hat er im Salon eine Schlange gesehen oder etwas gehört, das mit Schlangen zu tun hatte?«
»Das hat er, ja – obwohl es eine außerordentlich kleine und harmlose Schlange war.« Grey fragte sich vage, was wohl aus der kleinen gelben Schlange geworden war. Er musste sie wohl in der Aufregung des plötzlichen Verschwindens des Gouverneurs fallen gelassen haben und hoffte, dass sie sich nicht verletzt hatte.
Mr. Dawes sah bestürzt aus und murmelte etwas, das wie »oje, oje« klang, doch er schüttelte nur den Kopf und seufzte.
GREY BEGAB SICH IN SEIN ZIMMER, um sich vor dem Essen frisch zu machen; es war warm, und er roch kräftig nach Schiff – ein Geruch, der sich zu gleichen Teilen aus Schweiß, Seekrankheit und Kloake zusammensetzte, alles gut in Salzwasser mariniert – und nach Pferd, da er vom Hafen nach Spanish Town geritten war. Mit etwas Glück hatte sein Leibdiener inzwischen saubere Wäsche für ihn organisiert.
Das King’s House, wie man alle Gouverneursresidenzen nannte, war ein heruntergekommenes Herrenhaus, das auf einer Anhöhe am Ortstrand von Spanish Town stand. Es gab Pläne für die Errichtung eines immensen neuen Palastgebäudes in der Stadtmitte, doch es würde noch mindestens ein Jahr dauern, bis man mit dem Bau beginnen konnte. Unterdessen bemühte man sich, die Würde Seiner Majestät mithilfe von Bienenwachspolitur, Silberbesteck und makellosem Leinen aufrechtzuerhalten, doch die schäbige Drucktapete schälte sich in den Zimmerecken von der Wand, und das fleckige Holz darunter strömte ein derart schimmeliges Aroma aus, dass Grey am liebsten die Luft angehalten hätte, wann immer er sich in den Räumen bewegte.
Ein Gutes hatte das Haus jedoch, denn es war auf allen vier Seiten von einer breiten Terrasse umgeben und von großen, breit verästelten Bäumen überhangen, die ihren Schatten wie feine Spitze auf die Pflastersteine warfen. Einige der Zimmer führten direkt auf diese Terrasse hinaus – so auch Greys Quartier –, daher war es möglich, ins Freie zu treten und tief Luft zu holen, die nach der fernen See oder den ebenso fernen Bergdschungeln duftete. Von seinem Leibdiener war nichts zu sehen, doch es lag ein sauberes Hemd auf seinem Bett. Er zog sich den Rock aus, wechselte das Hemd und stieß dann die Glastüren weit auf.
Einen Moment lang stellte er sich mitten ins Zimmer. Die Nachmittagssonne fiel durch die offene Glastür, und er genoss das Gefühl, nach sieben Wochen auf See und sieben Stunden zu Pferd festen Boden unter den Füßen zu haben. Noch mehr genoss er das vorübergehende Gefühl, für sich zu sein. Seine Befehlsgewalt hatte auch ihren Preis, und dazu zählte die beinahe vollständige Unmöglichkeit, allein zu sein. Daher nahm er jede Gelegenheit dazu wahr, wohl wissend, dass sie nicht länger als einige Minuten dauern würde, die er daher umso mehr zu schätzen wusste.
Und richtig, diesmal dauerte es nicht länger als zwei Minuten. Er rief »Herein«, als es an der Tür klopfte, und als er sich umdrehte, überfiel ihn ein durchdringendes Gefühl der Anziehung, wie er es seit Monaten nicht mehr erlebt hatte.
Der Mann war jung, vielleicht zwanzig, und schlank in seiner blau-goldenen Livree, jedoch mit breiten Schultern, die Kraft verrieten, und einem Kopf und Hals, die eine griechische Skulptur hätten zieren können. Vielleicht lag es an der Hitze, dass er keine Perücke trug. Sein dicht gelocktes nachtdunkles Haar war so kurz geschoren, dass sich auch die feinste Wölbung seine Schädels darunter abzeichnete.
»Euer Diener, Sah«, sagte er zu Grey und verneigte sich respektvoll. »Der Gouverneur lässt Euch ausrichten, dass das Abendessen in zehn Minuten angerichtet ist. Darf ich Euch in das Speisezimmer führen?«
»Das dürft Ihr«, sagte Grey und griff hastig nach seinem Rock. Er zweifelte zwar nicht daran, dass er das Speisezimmer auch ohne Hilfe finden konnte, doch die Gelegenheit, diesen jungen Mann gehen zu sehen …
»Das dürft Ihr«, verbesserte Tom Byrd, der
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