Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
jetzt eintrat und die Hände voller Frisierwerkzeuge hatte, »sobald ich das Haar Seiner Lordschaft in Ordnung gebracht habe.« Er bedachte Grey mit einem drohenden Blick. »So geht Ihr nicht zum Abendessen, Mylord, denkt erst gar nicht daran. Setzt Euch dort hin.« Er wies streng auf einen Hocker, und Oberstleutnant Grey, Kommandeur der Truppen Seiner Majestät in Jamaica, ergab sich demütig dem Diktat seines neunzehnjährigen Leibdieners. Er ließ Tom nicht immer so freie Hand, doch unter den gegenwärtigen Umständen war er nicht unglücklich darüber, eine Ausrede zu haben, in Gegenwart des jungen schwarzen Bediensteten still zu sitzen.
Tom breitete seine Werkzeuge der Reihe nach auf der Kommode aus – ein Paar silberne Haarbürsten, eine Puderschachtel, eine Lockenzange – und legte dabei die Sorgfalt und das Augenmerk eines Chirurgen an den Tag, der sich seine Messer und Sägen zurechtlegt. Er wählte eine Bürste aus, beugte sich über Grey und betrachtete seinen Kopf, dann schnappte er nach Luft. »Mylord! Da ist eine riesige Spinne – die Euch über die Schläfe läuft!«
Grey fuhr reflexartig heftig abwehrend an seine Schläfe, und die erwähnte Spinne – ein deutlich sichtbares Tier von fast anderthalb Zentimetern Länge – schoss unfreiwillig in die Luft und prallte hörbar gegen den Spiegel, bevor sie auf die Kommode fiel und um ihr Leben rannte.
Tom und der schwarze Bedienstete stießen identische Schreckensschreie aus und stürzten sich auf das Tier, so dass sie vor der Kommode zusammenstießen und in einem wilden Haufen zu Boden gingen. Grey, der sich das Lachen nur mit Mühe verkneifen konnte, trat über sie hinweg und erledigte die fliehende Spinne mit der Rückseite seiner anderen Haarbürste.
Er zog Tom hoch und staubte ihn ab, während er den schwarzen Bediensteten allein aufstehen ließ. Statt sich ihre Entschuldigungen anzuhören, fragte er, ob es eine tödliche Spinne gewesen war?
»Oh ja, Sah«, versicherte ihm der Bedienstete eindringlich. »Wenn Euch eine davon beißt, Sah, bekommt Ihr auf der Stelle furchtbare Schmerzen. Das Fleisch rings um die Wunde würde faulen; Ihr würdet innerhalb einer Stunde Fieber bekommen und wahrscheinlich das Morgengrauen nicht mehr erleben.«
»Oh, ich verstehe«, sagte Grey kleinlaut und erschauerte heftig. »Nun denn. Vielleicht wärt Ihr so freundlich, Euch im Zimmer umzusehen, während Tom sein Werk verrichtet? Falls eine solche Spinne in familiärer Begleitung ist?«
Grey setzte sich und ließ sich von Tom das Haar bürsten und flechten. Dabei beobachtete er den jungen Mann, der gewissenhaft unter dem Bett und der Kommode suchte, Greys Koffer hervorzog und die Vorhänge aufhob und schüttelte.
»Wie ist Euer Name?«, fragte er den Mann, weil er bemerkte, dass Toms Finger heftig zitterten und er den Jungen von seinen Gedanken an die feindliche Tierwelt ablenken wollte, die in Jamaica gewiss zuhauf zu finden war. In den Straßen Londons kannte Tom keine Angst und war jederzeit bereit, es mit wütenden Hunden oder schäumenden Pferden aufzunehmen. Spinnen dagegen waren etwas völlig anderes.
»Rodrigo, Sah«, sagte der junge Mann und hielt beim Schütteln des Vorhangs inne, um sich zu verbeugen. »Euer Diener, Sah.«
Er wusste, wie man sich in Gesellschaft benahm, und unterhielt sich mit ihnen über die Stadt und das Wetter – für den Abend prophezeite er mit großer Sicherheit Regen gegen zehn Uhr –, so dass Grey den Eindruck bekam, dass er wahrscheinlich längere Zeit bei guten Familien als Bediensteter gearbeitet haben musste. War der Mann Sklave, fragte er sich, oder ein freier Schwarzer?
Seine Bewunderung für Rodrigo, so versicherte er sich selbst, war dieselbe, die er auch für eine herrliche Skulptur oder ein elegantes Gemälde gehegt hätte. Einer seiner Freunde besaß in der Tat eine Sammlung griechischer Amphoren, die mit Szenen verziert waren, bei deren Anblick er genau dieses Gefühl hatte. Er rutschte auf seinem Stuhl in eine etwas andere Position und schlug die Beine übereinander. Er würde ja gleich zum Abendessen gehen. Er verlegte sich darauf, an große, haarige Spinnen zu denken und machte damit auch schon Fortschritte, als etwas Großes, Schwarzes durch den Kamin fiel und aus der erloschenen Feuerstelle gerannt kam.
Alle drei Männer schrien auf und stampften wild um sich. Diesmal war es Rodrigo, der den Eindringling zu Fall brachte, indem er ihn mit seinem stabilen Schuh zertrat.
»Was zum Teufel war das?«,
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