Zeit der Träume
weicher, je tiefer die Sonne sank. Bald würde sie hinter den Hügeln untergehen, und dann würde alles sanft und grau werden, und es würde noch kühler werden. Sie würde sich die leichte Jacke, die sie mitgenommen hatte, überziehen müssen - zumindest, wenn sie blieben, bis sie den Sternenhimmel bewundern konnten.
Wie lange war es her, dass sie so etwas getan hatte?
Was hatte ihr der erzwungene Rückzug eigentlich gebracht, außer dass sie nicht mehr klar denken konnte?
Sie war kein Einzelgänger, sie brauchte den Kontakt mit anderen Menschen. Gespräche, Anregungen, Geräusche und Bewegung. Und als ihr das klar wurde, begriff sie gleichzeitig, dass sie wieder eine Arbeit finden musste.
Selbst wenn sie am Ende der Suche eine Million Dollar bekommen würde, würde sie trotzdem arbeiten müssen, einfach um Energie zu tanken.
»Ich muss zugeben, ich bin froh, dass du mich nach draußen geschleppt hast.«
»Du bist ja schließlich kein Höhlenmensch.« Stirnrunzelnd blinzelte Malory ihn an. »Du bist ein soziales Wesen. Nimm Dana dagegen, sie ist eher ein Einsiedlerin. Wenn man sie in Ruhe ließe, wäre sie vollkommen glücklich mit einem Stapel Bücher und einer Kanne Kaffee. Zumindest für ein paar Wochen. Dann allerdings müsste auch sie an die frische Luft. Ich hingegen drehe schon nach zwei Tagen allein durch, weil ich die Spannung brauche, genau wie du.«
»Du hast Recht. Ich bin mir gar nicht sicher, was ich davon halten soll, dass du das so schnell herausgefunden hast.«
»Schnell ist relativ. Wenn man Zeit und Energie rechnet, habe ich in der vergangenen Woche fast ein Jahr damit zugebracht, über dich nachzudenken. Es ist schon eine ganze Weile her, seit ich so viele Gedanken an eine Frau verschwendet habe, falls du dich das fragen wolltest.«
»Ich weiß nicht, was ich mich fragen wollte. Doch, ich weiß es«, korrigierte sie sich. »Warum hast du noch nicht vom Schlüssel geredet oder mich gefragt, was ich tue, um ihn zu finden?«
»Du hast dich vorher genug damit beschäftigt. Wenn du davon hättest reden wollen, dann hättest du es getan. Schüchtern bist du ja nicht unbedingt.«
»Wieder voll ins Schwarze.« Sie legte den Kopf schräg. »Warum sind wir hierher gefahren, so weit weg von der Stadt?«
»Es ist still hier, und die Aussicht ist schön. Moe ist gerne hier. Und es gibt eine winzige Chance, dass ich dich nackt auf diese Decke bekomme.«
»Versuch es mal mit winzig bis gar keine.«
»Winzig reicht mir.« Er bediente sich mit der Plastikgabel aus dem Topf mit dem Kartoffelsalat. »Und ich wollte sehen, ob Brad schon dabei ist, einzuziehen.« Er blickte zu dem prächtigen, zweigeschossigen Haus am gegenüberliegenden Ufer. »Es sieht aber nicht so aus.«
»Er fehlt dir.«
»Jetzt hast du ins Schwarze getroffen.«
Sie rupfte einen Grashalm aus und spielte damit. »Ich habe noch ein paar Freundinnen vom College. Wir waren eng miteinander befreundet, und vermutlich haben wir gedacht, das bleibt ewig so. Aber jetzt sind wir in alle Winde zerstreut und sehen uns kaum noch. Höchstens ein oder zwei Mal im Jahr, wenn wir es schaffen. Hin und wieder telefonieren oder mailen wir, aber das ist nicht das Gleiche. Sie fehlen mir. Mir fehlt das, was wir als Freundinnen waren, diese Telepathie, die man entwickelt, sodass man weiß, was der andere denkt oder wie er sich in einer bestimmten Situation verhalten würde. Ist es bei dir auch so?«
»Ja, ähnlich.« Er griff nach ihren Haarsträhnen und spielte genauso geistesabwesend damit, wie Malory mit dem Grashalm. »Nur dass wir schon als Kinder zusammen waren. Wir sind nicht besonders gut im Telefonieren, möglicherweise weil wir in unseren Jobs so oft zum Hörer greifen müssen. Aber wir mailen uns. Jordan ist der E-Mail-König.«
»Ich habe ihn mal neunzig Sekunden lang gesehen, als er in Pittsburgh Bücher signiert hat. Das ist ungefähr vier Jahre her. Dunkle Haare und gut aussehend, mit einem gefährlichen Ausdruck in den Augen.«
»Hast du es gerne gefährlich?«
Sie musste lachen. Er saß auf einer schäbigen Decke und aß Hühnchen, während sein großer doofer Hund ein Eichhörnchen anbellte, das hoch über ihm auf einem Baum hockte.
Im nächsten Moment jedoch lag sie flach auf dem Rücken, sein Körper presste sich an ihren, und das Lachen erstarb ihr in der Kehle.
Sein Mund war gefährlich. Blöd von ihr, dass sie das vergessen hatte. Wie freundlich und locker er auch an der Oberfläche erscheinen mochte, in ihm brodelte ein
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