Zeit der Träume
ernst, ja sogar nachdenklich war. »Wollen Sie mir etwa erklären, dass mein Bild von einem fünfhundert Jahre alten Maler gemalt wurde?«
»Er war sogar älter, glaube ich. Viel älter. Und ich glaube, er hat beide Bilder aus dem Gedächtnis gemalt. Wollen Sie mich nicht doch lieber hinauswerfen?«, fragte Malory.
»Ich denke, Sie befinden sich beide in einem Märchen. Eine romantische, tragische Geschichte, die nichts mit der Realität zu tun hat.«
»Sie haben das andere Bild nicht gesehen. Sie kennen Die Glastöchter nicht.«
»Nein, aber ich habe davon gehört. Allen Berichten zufolge war es während des Krieges in London, und dort wurde es auch zerstört. Die wahrscheinlichste Antwort ist, dass das Gemälde in Warrior’s Peak eine Kopie ist.«
»Nein, ist es nicht. Sie mögen mich für stur halten, was ich durchaus auch sein kann«, gab Malory zu. »Aber das ist im Moment nicht der Fall. Außerdem bin ich eher ein realistischer Mensch.«
Sie wandte sich Flynn zu, und ihre Stimme wurde drängend. »Flynn, alles, was die beiden mir, Dana und Zoe an jenem ersten Abend erzählt haben, hat gestimmt. Und auch das, was sie nicht erzählt haben. Rowena und Pitte - Lehrerin und Krieger - sind die Figuren im Hintergrund jedes Bildes. Sie waren tatsächlich dabei, und einer von beiden hat diese Porträts gemalt.«
»Ich glaube dir.«
Erleichtert atmete sie auf. »Ich weiß zwar nicht, was es bedeutet oder wie es uns nützt, aber als ich das erfahren habe, war ich umso entschlossener, den Schlüssel zu finden. Wenn es mir nicht gelingt, oder wenn Dana und Zoe versagen, dann schreien diese Seelen für ewig in diesem Kasten.«
Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Und das werden wir nicht zulassen.«
»Entschuldigung.« Zögernd stand Zoe auf der Schwelle. Am liebsten hätte sie alles berührt, sich die Schuhe ausgezogen, um barfuß über den glänzenden Boden zu laufen, und wäre ans Fenster getreten, um die Aussicht zu genießen.
»Die Männer draußen haben gesagt, ich solle einfach hineingehen. Äh, Flynn? Moe wälzt sich da draußen in irgendetwas, was sehr nach totem Fisch aussieht.«
»Mist. Ich bin gleich wieder da. Zoe, Brad.« Mit diesen Worten flitzte er nach draußen.
Brad erhob sich. Er wusste nicht genau, was er davon halten sollte, als ihm die Knie weich wurden. Über dem Rauschen in seinen Ohren hörte er seine eigene Stimme, ein bisschen kühler als normal, ein bisschen gestelzter.
»Treten Sie bitte ein. Setzen Sie sich. Möchten Sie etwas trinken?«
»Nein, danke. Tut mir Leid, Malory, ich habe eben erst deine Nachricht bekommen und bin sofort hierher gefahren. Stimmt etwas nicht?«
»Ich weiß nicht. Brad denkt, ich habe den Verstand verloren, und ich kann es ihm nicht verdenken.«
»Das ist lächerlich.« In ihrem Bestreben, der Freundin zur Seite zu stehen, vergaß Zoe den Charme des Hauses und auch den des Mannes. Ihre vorsichtige, entschuldigende Miene wurde eisig, als sie durchs Zimmer auf Malory zueilte. »Und wenn Sie so etwas gesagt haben, dann irren Sie sich nicht nur, dann sind Sie auch unhöflich.«
»Eigentlich habe ich bis jetzt noch nichts dergleichen gesagt. Und da Sie die Umstände gar nicht kennen...«
»Das brauche ich auch nicht. Ich kenne Malory, und wenn Sie ein Freund von Flynn sind, dann sollten Sie sie besser nicht verärgern.«
»Ich bitte um Verzeihung.« Wo kam denn auf einmal dieser steife, arrogante Tonfall her? Wie kam die Stimme seines Vaters plötzlich aus seinem Mund?
»Es ist nicht seine Schuld, Zoe, wirklich nicht. Und ich bin auch nicht verärgert.« Malory schob sich die Haare zurück und wies auf das Gemälde. »Du solltest dir das mal ansehen.«
Mit einem letzten strafenden Blick auf Brad trat Zoe zu dem Bild. Dann griff sie sich an den Hals. »Oh. Oh.« Tränen stiegen ihr in die Augen. »Es ist so wunderschön und so traurig. Aber es gehört zu dem anderen. Wie ist es hierher gekommen?«
Malory legte ihr den Arm um die Taille. »Warum glaubst du, dass es zu dem anderen gehört?«
»Es sind die Glastöchter nach dem... nach dem Zauber oder Fluch. Der Kasten mit den blauen Lichtern. Genauso wie du es aus deinem Traum beschrieben hast. Es ist wie ein Set, oder ein Teil eines Sets, das von derselben Person gemalt worden ist.«
Malory warf Brad einen Blick über die Schulter zu und zog eine Augenbraue hoch.
»Sind Sie Kunstexpertin?«, fragte Brad Zoe.
»Nein.« Sie schaute ihn dabei nicht an, und ihre Stimme klang gepresst. »Ich bin
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