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Zeit der Wut

Zeit der Wut

Titel: Zeit der Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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für uns nichts anderes als ein talentierter Dilettant. Aber macht uns dieser Nährboden nicht einzigartig und unwiderstehlich? Alles oder nichts, auf jeden Fall.“
    Jetzt zum Beispiel entwickelte er eine komplexe Theorie zu Dantinis Tod, mit der er wieder einmal unter Beweis stellen wollte, dass auf dieser Welt alles so ist wie bei Macbeth:
Fair is foul and foul is fair
. Dabei war doch das Ganze so banal und offensichtlich, in den Augen aller und vor allem in ihren Augen …
    – Wir sehen uns in einer Stunde bei mir, Daria. Ich muss ein paar Anrufe erledigen.
    Eine Stunde später saß Lupo an seinem großen, chaotischen Schreibtisch im bescheidenen, aber sehr gut ausgestatteten Büro des Innenministeriums in einem anonymen Wohnhaus mitten im Esquilin-Viertel. Immer, wenn sie ins Heiligtum vorgelassen wurde, fragte sich Daria unweigerlich, ob Lupos Arbeitsplatz ein Abglanz seiner Persönlichkeit oder nur eine geschickte Tarnung war, die x-te Inszenierung ihres rätselhaften Chefs. Glaubte Lupo wirklich, dass Grant Woods Gemälde
American Gothic
die dunkle Seite der Moderne darstellte? Und fragte er sich tatsächlich wie Einstein, was wir von einem leeren Schreibtisch zu halten hätten, „wenn ein unordentlicher Schreibtisch einen unordentlichen Geist repräsentiert“? Die Reproduktion des Gemäldes und das berühmte Foto, auf dem der große Wissenschaftler die Zunge herausstreckte, fielen auf jeden Fall allen Besuchern auf. Sie verwirrten sie. Und Lupo nutzte ihre Verwirrung aus, um sie zu studieren, um einen kleinen Vorsprung zu gewinnen.
    – Hast du deine Anrufe gemacht?
    – Wenn es an der Zeit ist, werde ich dich informieren, meine Liebe …
    Daria reichte ihm die Fotokopie eines Flugblatts.
    – Das hat die Kriminalpolizei in einem Mülleimer in der Nähe des Argentovivo-Zirkels gefunden.
    Lupo setzte die Brille auf und las: „Wir haben den Bullen Dantini hingerichtet, den Feind des palästinensischen Volkes und den Komplizen der Folterer des Genossen Mamoud.“
    – Ich würde es Rache nennen.
    Lupo schüttelte den Kopf, überhaupt nicht überzeugt.
    – Alessio war kein Feind des palästinensischen Volkes und hatte nichts mit diesem Mamoud zu tun. Er hat ihn nicht einmal verhaftet.
    – Was wissen wir? Diese Jungs sind außer Rand und Band.
    – Ich würde nicht sagen, dass dieser Junge außer Rand und Band war, sondern dass er ein Kamikaze war … Guido di San Piero Colonna … Waise, großbürgerliche Herkunft … wenn ich mich nicht irre, hatte sein Vater zu Zeiten von
Mani pulite
ein paar Probleme …
    – Er wurde aber von allen Vorwürfen freigesprochen und das konfiszierte Vermögen wurde ihm zurückerstattet.
    – Klar doch. Auf jeden Fall eine Biografie wie in einem Fortsetzungsroman.
    – Bei ihm zu Hause hat man ein Tagbuch gefunden. Ich lese dir nur einen Satz vor, einen x-beliebigen: „Der Traum eines jeden Anarchisten ist es, einem Richter oder einem Bullen eine Kugel in den Schädel zu jagen.“
    – Weit verbreitete Propaganda. Ich glaube, ich habe auch Bücher zu Hause, die zu solchen Dingen aufrufen. Das macht ihn in meinen Augen noch nicht zum Polizistenmörder.
    – Um Himmels Willen, Nicola!
    – Beruhige dich, bitte.
    – Nicola, es gibt Beweise! Beweise! Die ersten Untersuchungen der Waffe beweisen, dass er geschossen hat, und der Aussage Kommissar Mastinos zufolge, hat er auf ihn geschossen, als er sah, wie er auf den armen Dantini zielte.
    Lupo starrte noch immer auf sie mit seinem irrenden Blick. Daria wusste, dass es sinnlos war, weiter darauf zu bestehen. Noch nie war es jemandem gelungen, Nicola Lupo von seiner Meinung abzubringen. Wenn er dennoch hin und wieder klein beigeben musste, schenkte er seinem Gesprächspartner höchstens einen mitleidigen Blick. Selbstkritik kam in seiner Welt nicht vor. Die Freundschaft vernebelte seinen Blick, sagte sich Daria. Für Lupo war Alessio Dantini mehr als ein Bruder gewesen. Sie waren nicht nur dieselben Risiken eingegangen, sie hatten dieselbe Weltsicht geteilt. Vielleicht denselben Traum. Eine saubere und demokratische Polizei. Ein sauberer Polizeikörper ohne dunkle Seiten. Beim Begräbnis Dantinis hatte sich Lupo mehrmals mit dem Taschentuch das Gesicht abgewischt. Und als seine Witwe auf ihn zugetreten war, hatte er sich mit einer Ausrede der Umarmung entzogen. Die Freundschaft verhinderte logisches Denken. Lupo war da keine Ausnahme.
    – Es liegt doch alles auf der Hand … Warum zweifelst du daran?
    – In vierundzwanzig

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