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Zeit der Wut

Zeit der Wut

Titel: Zeit der Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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Bellevilleuse kommen Kommunisten und Bobos, die
bourgeois bohémiens
… du weißt schon, die Jungs aus guter Familie, die gern Revolution spielen … die Anarchisten sind hundert Meter weiter weg zu Hause, in der Espace Louise Michel … du weißt doch, wer die Genossin Louise war, oder?
    – Ja, ich habe auch die Geschichte der
Commune
studiert.
    –
Bien
. Es wäre besser gewesen, wenn auch ihr Italiener eine
Commune
gehabt hättet, aber …
    Unter dem Schutz von Serge erforschte er kleine Plätze, stieg enge Treppen empor, trank Bier mit kurz geschorenen Mädchen und Arabern mit leidendem Blick, träumte mit offenen Augen zur Musik eines Zigeuner-Trios, riss ein Hundebaby in die Höhe, das beinahe unter die Räder eines
motard
gekommen wäre. Überall dieselbe Antwort:
rien de rien
.
    – Warum hast du beschlossen, mir zu helfen, Serge?, fragte ihn Guido schließlich.
    Serge, der ihn zu Youssouf begleitet hatte, zündete sich einen
pétard
an und machte eine vage Geste.
    – Deine Geschichte ist an allen Stellen undicht. Sagen wir, mich erregt die Vorstellung, einen Abend mit einem lebenden Toten zu verbringen, Genosse San Piero Colonna …
    Guido nahm den Kopf zwischen die Hände. Instinktiv blickte er um sich, als würde er einen Fluchtweg suchen. Serge machte noch einen Zug, dann reichte er ihm den Joint.
    – Das nächste Mal erwähnst du lieber nicht den Argentovivo-Zirkel. Ich habe nur ein paar Anrufe machen müssen, um das alles in Erfahrung zu bringen. Und dein Freund Flavio hat ein viel zu loses Mundwerk.
    – Ich weiß, es klingt unglaubwürdig, aber … es war genau so.
    – Ja, schon gut, Geheimdienst und was sonst noch … das wahre Geheimnis ist: Warum kapierst du noch immer nicht, dass sie dich … wie sagt man … hineingezogen haben.
    – Das sagt auch der Bulle, aber ich glaube ihm nicht.
    – Solltest du aber. Ich hasse, es zugeben zu müssen … willst du den ganzen Joint allein rauchen? Danke … wie ich schon sagte: Ich hasse es, zugeben zu müssen, aber der Polizist hat recht. Dieses Mädchen stinkt, mein Freund. Dein Freak stinkt.
    – Warum bist du dir da so sicher?
    – Gespenster. Die beiden sind Gespenster. Seit dreißig Jahren laufe ich in diesem Viertel herum und kümmere mich um Idioten wie dich, die in Schwierigkeiten geraten sind. Alle eure Ideen über die direkte Aktion und die Ekstase der Tat sind ein Hohn auf die Anarchie … du glaubst also, ich wüsste nicht, wenn ein Typ wie Didier hier herumliefe? Aber ich weiß von gar nichts. Dein Freund stinkt also. Denk mal darüber nach. Und mach endlich ’nen Zug.
    – Und was sollte ich deiner Meinung nach tun, Serge?
    – Ich finde einen Job für dich. Leg ein wenig Geld beiseite, ein Dokument werden wir schon auftreiben … dann verziehst du dich an irgendeinen sicheren Ort … nicht in Paris, Paris ist nicht mehr so wie es früher einmal war. Das Mitterrand-Gesetz ist mittlerweile Schnee von gestern.
    – Wenn es wirklich so ist, wie du sagst, Serge, hat sie mir das Leben geraubt. Verstehst du das?
    Serge zuckte mit den Achseln. Wenn er auch nur ein Fünkchen Verstand gehabt hätte, hätte er ihn seinem Schicksal überlassen. Ja, er hätte ihn fallen lassen sollen. Aber trotz der vielen Jahre und der Niederlagen, trotz allem überlebte in ihm noch immer die alte, ironische Solidarität, aufgrund derer sich die Verzweifelten, die Hoffnungslosen, die Träumer aus aller Herren Länder auf den ersten Blick erkannten. Er würde ihm helfen. Vielleicht mit einem kleinen Trick.
    – Du hast gesagt, dass Didier schwul ist, nicht wahr?
    – Ja, sah so aus.
    – Gut. Morgen Abend ziehst du was Auffälliges an. Wir treiben uns in den kleinen Lokalen in der Nähe der Bastille rum, in die nur Männer reindürfen.
    – Wie ein altes schwules Paar?
    – Das „schwul“ verzeihe ich dir, aber wenn du mich noch mal als alt bezeichnest, schlag ich dir die Fresse ein!

2.
    Marco hatte die Wohnung zertrümmert. Nicht einmal eine Nippesfigur war der WUT entkommen. Mit kalter Gelassenheit ertrug Daria seinen hasserfüllten Blick.
    – Wie bist du hereingekommen?
    – Vergiss nicht, ich bin Polizist.
    – Vielleicht warst du mal einer. Jetzt bist du der Knecht des Kommandanten.
    – Du solltest lieber nicht von Knechten sprechen. Dein Bulle, der Kaffer aus dem Süden, hält seine schützende Hand über den Anarchisten. Dantinis Mörder. Ich weiß alles.
    Daria bückte sich, um in dem Schutthaufen etwas zu suchen. Sie fand die Dienstpistole, die

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