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Zeit der Wut

Zeit der Wut

Titel: Zeit der Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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zweiläufige Beretta, entsicherte sie, dann erhob sie sich und zielte.
    – Und jetzt hau bitte ab.
    Marco lachte.
    – Nein, dich nicht. Dich würde ich nie angreifen, Daria. Steck diese verdammte Pistole ein und erklär mir nur eines: Warum?
    In diesem Augenblick läutete es. Daria ging zur Gegensprechanlage, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Es war jemand von unten aus der Portiersloge.
    – Alles in Ordnung, danke, tut mir leid wegen des Lärms. Wir räumen gerade ein wenig auf. Danke.
    Marco schaute sie weiterhin finster an. Wie hatte sie sich nur in so einen verlieben können? Hatte Lupo vielleicht doch recht? Ein Fall für den Psychoanalytiker … die Mischung aus Mutterinstinkt und Erregung angesichts dieses fast noch jungenhaften Körpers, der von einem Netz aus Narben und Wunden überzogen war, war tatsächlich ein Fall für den Psychiater. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihn behandelt hatte, wochenlang, zweimal am Tag. Wie sie Desinfektionsmittel aufgetragen, ihn mit Salben eingerieben, ihn mit Mullbinden und Pflastern verbunden hatte. Er hatte sie machen lassen, wortlos. Von Anfang an hatten sie nur ganz wenig miteinander gesprochen, als ob sie tatsächlich die Krankenschwester und er der Patient gewesen wäre, zwei Unbekannte, die von ihren jeweiligen Rollen zu diesen intimen Gesten gezwungen wurden. Marco ging es immer besser, war schon wieder auf den Beinen, aber wenn sie kam, zog er sich aus und legte sich ins Bett, um sich behandeln zu lassen. Nach ein paar Wochen gab es nicht mehr viel zu behandeln, aber das Ritual wurde trotzdem zweimal am Tag vollzogen. Bis Marco eines Abends Darias Hand nahm und sie auf sein Geschlecht legte. Warm und hart lag es in ihrer Hand, und sie hatte zugedrückt. Von nun liebten sie sich zu den Zeiten, an denen sonst die Behandlungen stattgefunden hatten, früh am Morgen, bevor Daria wegging, und wenn sie nach Hause kam, vor dem Abendessen. Wenn sie dienstfrei hatte, kaufte sie eine Flasche Champagner, bevor sie nach Hause ging. Sie tranken sie im Bett, aßen Polenta, schauten fern, liebten sich. Ein Fall für den Psychiater, diese verrückte Liebe zu einem, der fast ihr Sohn hätte sein können, der nur sprach, wenn er Hunger hatte, sie fickte wie ein Tier und ein Hakenkreuz-Tattoo auf der Brust hatte.
    Daria suchte die grüne Flügelmappe. Sie lag ganz oben auf einem Haufen von zufällig hingeworfenen Papieren. Sie nahm sie und warf sie Marco zu.
    – Nimm das und geh. Da steht alles drinnen.

3.
    Alissa rief Didier an.
    – Der Junge lebt. Er sucht dich in Paris. Triff ihn und lass ihn verschwinden.
    Didier protestierte. Sie hatte das Schlamassel verursacht, also sollte sie die Suppe gefälligst selbst auslöffeln. Alissa gab nicht nach. Didier lief zu seinem unmittelbaren Vorgesetzten in einem anonymen Wohnhaus in der Rue de Rennes und legte Protest ein.
    – Nichts zu machen. Befehl ist Befehl.
    – Aber der sucht einen Schwulen.
    – Dann spiel einen Schwulen. Angeblich machst du das recht gut.
    – Aber was hat das damit zu tun? In Rom oder in Berlin einen Schwulen zu spielen … ist etwas ganz anderes als hier in Paris, wo ich zu Hause bin … bitte, Chef …
    Alles umsonst. Diese Schwulengeschichte schien ein Markenzeichen zu werden, das er nicht mehr loswerden konnte. Didier hieß nicht wirklich Didier, sondern Oisin, und er war überhaupt nicht schwul. Er war der Sohn von Separatisten aus der Bretagne, zwei armen Teufeln, die ihr halbes Leben damit vergeudet hatten, Komplotte zu schmieden, die die schrecklichen Gallier von dem heiligen Boden vertreiben sollten, und die jetzt in einem Touristendorf in der Nähe von Quiberon Excalibur-Schwerter aus Blech und Merlin-Hüte verkauften. Sein Nachname lautete Elschner, was ihm noch dazu die antisemitischen Witze der dümmsten Kameraden eingetragen hatte, aber in der Spezialeinheit hatten sie ihn mit offenen Armen aufgenommen. Sie hatten ihn in der ganzen Welt als Schwulen herumgeschickt. Da er ein hübscher Junge war und im Fall des Falles höflich sein konnte, dachten die Chefs, dass er womöglich eine Zukunft als Infiltrator hatte. Als sie ihn unter dem Vorwand eines Stipendiums nach Rom schickten, fragte er sich, ob das alles vielleicht Teil einer Strafe war. Vielleicht war er, ohne es bemerkt zu haben, irgendeinem großen Tier auf die Zehen gestiegen. Wie sonst war ein derart rücksichtsloses Vorgehen gegen einen Halbschwergewicht-Champion in Taekwondo zu erklären? In Rom hatte er die Stimmung in ein paar

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