Zeit des Aufbruchs
werden konnten. Der wirkliche Grund für den Streit war jedoch, daß Ayaki es vorzog, in der Hitze und Feuchtigkeit des Hochsommers gar kein Gewand zu tragen. Es machte keinen Eindruck auf die Vorlieben eines Neunjährigen, ihm zu erklären, daß er von zu hohem Stand war, als daß er nackt wie ein Sklavenjunge herumlaufen konnte.
Doch Nacoya hatte jahrelange Erfahrung damit, temperamentvolle Kinder der Acoma in den Griff zu bekommen. Sie packte Ayaki an den steifen Schultern und schüttelte ihn leicht. »Junger Krieger, du wirst das anziehen, was ich dir gebe, und dich sofort wie der Lord verhalten, der du sein wirst, wenn du erwachsen bist. Wenn nicht, verbringst du den Morgen damit, zusammen mit den Küchenjungen schmutzige Teller zu putzen.«
Ayaki riß erschrocken die Augen auf. »Das wagst du niemals! Ich bin kein Diener oder Sklave!«
»Dann hör auf, dich wie einer zu verhalten, und kleide dich wie ein Edler.« Nacoya schloß ihre angeschwollene, arthritische Hand um Ayakis Handgelenk und drängte ihn mit festem Griff durch den Raum zu der Dienerin, die bereits mit der Robe wartete. Selbst steif und alt, war ihr Griff noch hart wie Eisen. Ayaki hörte auf, sich zu wehren, und schob seine geballte Faust durch den aufgehaltenen Ärmel; dann stand er mit finsterer Miene da und rieb sich den roten Fleck, wo die Haut des Handgelenks etwas gezerrt worden war.
»Und jetzt den anderen Arm«, befahl Nacoya. »Keinen Unsinn mehr!«
Ayakis dunkler Blick hellte sich ein wenig auf, und er grinste. »Keinen Unsinn mehr«, stimmte er in einer seiner schnellen Stimmungsschwankungen zu. Er reichte die andere Hand der Dienerin, und sofort wurde die anstößige Robe über seine Schultern gelegt. Sein Lächeln wurde noch breiter, bis die Zahnlücke zwischen den Vorderzähnen deutlich sichtbar wurde und er bedächtig mit der Hand nach oben fuhr und den ersten Perlmuttknopf abriß. »Die Robe ist in Ordnung«, verkündete er trotzig. »Aber ich trage kein Orange!«
»Bei allen Dämonen!« fluchte Nacoya zwischen zwei hastigen Atemzügen. Sie war eindeutig zu erschöpft, um eigensinnige kleine Jungs in den Griff zu bekommen. Sie hob die Hand, um ihm eine Ohrfeige zu geben, was ihn zu einem lauten Wutschrei veranlaßte.
Der Schrei war laut genug, um alle Gedanken zu ersticken, und die Dienerinnen zuckten zusammen. Die Wachen im Korridor waren abgelenkt und hörten nicht die vorsichtigen Schritte der schwarzgekleideten Gestalt, die auf leisen Sohlen durch den Laden schlich.
Plötzlich sackte die Dienerin, die am nächsten stand, mit einem Messer im Rücken zu Boden.
Sie fiel, ohne einen einzigen Schrei von sich zu geben. Noch während der Schatten des Angreifers durch das Sonnenlicht trat, brach auch die zweite mit durchschnittener Kehle zusammen.
Nacoya spürte das dumpfe Geräusch, als der Körper auf den Holzboden fiel. Instinktiv spürte sie die Gefahr, griff nach unten, packte den Acoma-Erben, der immer noch zeterte, und warf ihn der Länge nach in die Ecke. Er landete zwischen den Bettmatten und Kissen, die noch in morgendlicher Unordnung waren.
Die Erste Beraterin rief nach den Wachen, doch ihre Stimme war zu alt und zu schwach. Ihre Warnung blieb ungehört. Jetzt schrie Ayaki in blinder Wut; er wollte sich aus den Bettlaken befreien. Nur Nacoya sah die Bedrohung, in der er sich befand, und die Dienerinnen, die in ihrem Blut auf dem Fußboden des Kinderzimmers lagen.
»Bei allen Dämonen!« sagte sie wieder, doch dieses Mal zu der schwarzgekleideten Gestalt des Tong-Attentäters. Er hatte schon ein neues Messer aus dem Gürtel gezogen, und eine Kordel schlang sich um die Finger seiner linken Hand. Sein Gesicht war hinter einer Maske aus schwarzem Stoff verborgen; die Hände steckten in Handschuhen. Nichts als seine Augen waren sichtbar, als er auf sein Opfer zueilte, den Jungen, der Maras Erbe war. Nur Nacoya stand ihm im Weg. Er hob das Messer, um es ihr in den Hals zu schleudern.
»Nein!« Nacoya warf sich nach vorn, als das Messer aus seiner Hand schnellte. Sie hatte es auf das Seil in der linken Hand abgesehen, das er für Ayakis Hals bereithielt. Die Klinge zischte über den Kopf der Ersten Beraterin hinweg und bohrte sich in die Gipswand.
Der Attentäter fluchte und machte einen Satz zur Seite. Doch Nacoya packte seine Garrotte. Ihre Nägel rissen durch dünnes Leder, kratzten wie Klauen an seinen Knöcheln und griffen nach dem Seil. »Nein!« Sie rief wieder nach den Wachen, doch ihre dünne Stimme
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