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Zeit des Aufbruchs

Zeit des Aufbruchs

Titel: Zeit des Aufbruchs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
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Hülle ihrer früheren Vitalität geschrumpft, wurde ihre Sterblichkeit erschreckend offensichtlich.
    Mara nahm eine der faltigen Hände und tätschelte sie. »Mutter meines Herzens, ich bin hier, weil ich deinen Rat dringend benötige.«
    Der Ton in Maras Stimme riß die alte Frau aus ihrem Selbstmitleid. Nacoya setzte sich auf und hustete. »Was ist es, Tochter?«
    »Tecuma von den Anasati ist gestorben.« Maras Finger schlossen sich fest um die Hand der Ersten Beraterin. »Er erlag der Krankheit, die ihn in den letzten sechs Monaten ans Bett gefesselt hatte.«
    Nacoya seufzte. Ihre Augen schienen in die Ferne zu blicken, auf einen Punkt in ihrer Erinnerung gerichtet oder auf einen Gedanken, den nur sie erkannte. »Er weigerte sich weiterzukämpfen, der arme Mann. Er war ein wertvoller Krieger und ein großzügiger, ehrenvoller Gegner.« Unter den Decken wurde Nacoyas dünner Körper von einem weiteren Hustenanfall geschüttelt.
    Sie rang um Atem, und Mara ersparte ihr die Mühe, als erste zu sprechen. »Hältst du es für weise, wenn ich auf Jiro zugehe?«
    Nacoyas Hand verkrampfte sich in Maras Umklammerung. »Tochter, sosehr er Euch auch dafür haßt, daß Ihr seinen Bruder ihm vorgezogen habt, ist er doch nicht so besessen wie Ta-saio. Jetzt, wo das Wohlergehen der Anasati auf seinen Schultern ruht, bringt ihn die Verantwortung möglicherweise zur Vernunft.«
    Kevins Stimme schaltete sich unerwartet ein. Er stand hinter Keyoke in der Tür. »Unterschätzt niemals die menschliche Fähigkeit für dummes, unlogisches und armseliges Verhalten.«
    Nacoya warf dem Midkemier einen gereizten Blick zu. Sie war bereits verärgert, daß Keyoke sie zerzaust und krank sehen konnte, doch die Anwesenheit eines jungen Mannes war noch viel schlimmer. Dennoch konnte sie ihren Ärger nicht zeigen, denn trotz seines merkwürdigen Verhaltens und seiner wiederholten Mißachtung tsuranischer Bräuche, trotz seiner lästigen, aber ehrlichen Liebe zu Mara besaß Kevin einen flinken Geist.
    Nacoya gab zögernd nach. »Euer … Sklave hat recht, Tochter. Wir müssen davon ausgehen, daß Jiro unnachgiebig bleibt, solange er nicht ein entsprechend verändertes Verhalten zeigt. Die Anasati sind zu lange unsere Feinde gewesen, trotz all ihrer ehrenvollen Haltung. Wir müssen vorsichtig vorgehen.«
    »Was soll ich also tun?« fragte Mara.
    »Sende ein Beileidsschreiben«, schlug Kevin in dem Versuch zu helfen vor.
    Mara und ihre beiden Vertrauten reagierten auf den Vorschlag mit ungeschriebenen, großen Fragezeichen in ihren Gesichtern.
    »Ein Beileidsschreiben«, wiederholte Kevin; dann erst begriff er, daß es dafür keine tsuranische Entsprechung gab. »In meiner Heimat ist es üblich, wenn jemand gestorben ist, den Angehörigen eine Nachricht zu schicken und mitzuteilen, daß man den Verlust teilt und ihnen alles Gute wünscht.«
    »Eine seltsame Angewohnheit«, bemerkte Keyoke, »doch es hegt Ehre dann.«
    Nacoyas Augen strahlten. Sie blickte Kevin lange und eindringlich an, dann holte sie tief Luft und sprach: »Ein solcher
    Brief würde den Weg für eine Annäherung bereiten, ohne daß wir schon etwas zugestehen. Sehr raffiniert.«
    »Nun, so kann man es sicher auch betrachten«, sagte Kevin, amüsiert darüber, daß das Konzept des Mitleids in tsuranischen Köpfen gleich als ein weiteres Mittel im Spiel zweckentfremdet wurde.
    Mara war von der Idee begeistert. »Ich werde unverzüglich einen Brief schreiben.«
    Doch sie machte noch keine Anstalten, sich zu erheben. Sie hielt Nacoyas Hand fest, als wollte sie sie gar nicht mehr loslassen. Eine Zeitlang starrte sie auf das Muster der Tagesdecke, als wollte sie vermeiden, der alten Frau ins Gesicht zu sehen.
    »Gibt es noch etwas anderes?« fragte Nacoya.
    Mara blickte sich unsicher um.
    Die Erste Beraterin hatte niemals ihre Instinkte als Amme verloren, und so meinte sie leicht herablassend: »Es ist jetzt Jahre her, daß Ihr die Rolle des schüchternen Mädchens gespielt habt, Tochter. Also bringt es hinter Euch und sagt, was es zu sagen gibt.«
    Mara schluckte plötzlich aufsteigende Tränen hinunter. Das Thema, das sie dringend angehen mußte, raubte ihr die Haltung. »Wir müssen eine … kluge … Person suchen … und beginnen …«
    Die alte Amme warf ihrem Schützling einen vernichtenden Blick zu. »Ihr meint, ich muß beginnen, einen Ersatz für mich auszubilden.«
    Mara protestierte energisch. Nacoya hatte die Stelle der Mutter eingenommen, die die Lady niemals kennengelernt

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