Zeit des Lavendels (German Edition)
Katharina, die sich bislang nie allzu genau mit den Personen auseinander gesetzt hatte, die von ferne ihre Geschicke mitbestimmten, war erstaunt. Wie konnte sich nur jemand in diesem ganzen Geflecht von Beziehungen zurechtfinden? Da waren so viele Wünsche und der Kampf um Macht im Spiel. Ihr wurde klar, dass es in Ensisheim nicht leicht werden würde.
Der Schönauer gab ihr auf jeden Fall ein Empfehlungsschreiben mit. Er hoffte, dass es ihr wenigstens die Türen zu Melchior Hegenzer, dem Präsidenten der österreichischen Regierung in den Vorlanden, öffnen würde. Über ihn vielleicht sogar den Weg zu König Ferdinand. Zumal Letzterer dafür bekannt war, dass ansehnliche weibliche Reize ihn durchaus nicht kalt ließen. Überhaupt waren der Charme und die Anziehungskraft Katharinas insgeheim ein wichtiger Faktor bei seinen Überlegungen im Kampf um Milde für Magdalena von Hausen.
Aber auch die abtrünnige Äbtissin war in gewisser Weise nur eine Figur in diesem Schachspiel um Macht, Geld und Einfluss, in dem die größte Triebfeder Gier hieß und die Bauern im Zweifelsfall geopfert wurden. Katharina war von ihrer Herkunft her auch ein Bauer. Ihre Sorge um Magdalena von Hausen und ihre persönliche Gewandtheit wiesen ihr in den taktischen Überlegungen des Schönauers allerdings durchaus die Rolle eines Springers zu.
Den Bittbrief für die Äbtissin und das Empfehlungsschreiben an Melchior Hegenzer von Wasserstelz hatte Katharina sorgfältig in ihren Rock eingenäht, als sie in den frühen Morgenstunden des 16. Juli aufbrach, begleitet von zwei Männern des Schönauers. Ein wenig in Sorge war sie schon, ihre beiden Patienten Magdalena und die alte Nele allein zu lassen. Denn sie wusste nicht, wie lange sie brauchen würde, bis sie Einlass beim Hegenzer fand. Beide hatten ihr jedoch hoch und heilig versichert, es gehe ihnen gut. Eingenäht in ihre Unterwäsche hatte sie auch ein Säckchen mit einigen Münzen. Der Schönauer hatte es ihr mitgegeben, damit sie sich die Unterkunft in einer Herberge leisten konnte. Einer der beiden Begleiter würde bei Katharina bleiben. Der andere sollte zurückkehren und Nachricht bringen, wie es um die Sache stand. Bis ins elsässische Ensisheim war es immerhin eine gute Tagesreise. Für die Fahrt hatte Hans Jakob von Schönau der jungen Frau seinen Zweispänner zu Verfügung gestellt.
Die Stunden in der Kutsche brachten Katharina die schon so lange ersehnte Gelegenheit, über alles nachzudenken, was sie in den letzten Wochen erfahren hatte. Denn durch die Unterrichtsstunden bei Jakob von Schönau war ihr kaum Zeit geblieben, das aufrüttelnde Erlebnis beim Stein der Seconia zu verarbeiten. Sie hatte mit Magdalena von Hausen noch nicht darüber gesprochen. Zuerst musste sie sich darüber klar werden, ob die Bilder, die sie gesehen hatte, mehr waren als ein sehr realistischer Traum, ob sie wirklich ihre Geburt miterlebt und ihre Eltern kennen gelernt hatte. Verborgen in diesen Bildern war ja auch das Versprechen der Liebe gewesen und die Botschaft der Seconia, dass die heiligen Wasser der Quellen die inneren Qualen löschen würden, an denen sie zu verbrennen drohte. Doch sie schob diese Gedanken bald beiseite. Dafür war noch Zeit, wenn sie nach Seggingen zurückkam. Jetzt musste sie ihren Verstand auf das richten, was ihr bevorstand. Nur wenn sie sich geschickt verhielt, würde ihre Mission Erfolg haben. Ein Erfolg, von der auch ihr eigener Seelenfrieden abhing.
Ein Zufall half Katharina schon während der Reise, eine geeignete Unterkunft zu finden. Gegen den entschiedenen Widerstand ihrer beiden Begleiter hatte sie nämlich darauf bestanden, einen jungen Mann mitzunehmen, der zu Fuß auf der Landstraße nach Ensisheim unterwegs war. Der heiße Tag schien ihn zwar nicht besonders zu belasten, aber er war dann doch froh, eine Mitfahrgelegenheit gefunden zu haben. Der junge Reinhold stammte aus Ensisheim, war Student der Rechtswissenschaften in Freiburg und gerade auf dem Weg heim zu seiner Mutter. Diese wiederum — Katharina lobte den gesegneten Zufall — hatte eine kleine Pension, mit der sie ihre Witwenrente aufbesserte. Der Vater von Reinhold war schon früh gestorben und hatte seiner Frau und seinem Sohn als kleiner Ministerialer der Regierung nicht viel hinterlassen können.
So vermietete seine Mutter drei der Zimmer des kleinen Häuschens im Zentrum von Ensisheim. Eines war gerade frei geworden. Wenn er sie darum bitte, werde die Mutter das Zimmer sicher für eine Weile
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