Zeit des Verrats: Finnland-Krimi: Finnland-Krim
jedem Haus.
Eine Brücke aus einigen Brettern führte zu einem kurzen Badesteg. Das Ufer schien flach zu sein, daher traute ich mich nicht, zu springen, sondern stieg vorsichtig ins Wasser. Doch meine Füße stießen erst auf den weichen Grund, als mir das Wasser bis fast ans Kinn reichte. Am Ende des Stegs lag ein Boot vertäut. Schwimmer und Ruderer hatten eine schmale Rinne durch das Schilfgras gebahnt. Ich schwamm langsam am Ufer entlang. Seerosen und Wasserfuß streiften meine Beine. Das Wasser war warm, es schmeckte und roch nach Erde und Schlamm.
Der See wuchs allmählich zu. Schneller als in der Sowjetzeit, dachte ich. Damals wurden nicht alle abgelegenen Feldstreifen bebaut und schon gar kein Dünger eingesetzt, dessen Nährstoffe nun von den Äckern ins Wasser rannen.
Ich hatte mir ein Handtuch um die Hüften gewickelt und saß auf der Bank draußen vor der Sauna, als Julija kam. Sie hatte ihre hochhackigen Schuhe ausgezogen, ließ sie an der Hand baumeln und scheuchte mit der anderen Hand die Mücken von ihren nackten Waden. Ein erfreulicher Anblick.
Während der Fahrt hatten wir uns ein wenig unterhalten. Koljukow als größter von uns hatte den Beifahrersitz eingenommen, hinten hatte Julija zwischen Wronskij und mir gesessen. Ihr Bein hatte sich an meins gedrückt, sodass ich seine Wärme spürte.
»Ist die Sauna schon frei?«, fragte Julija.
»Ich zieh mich schnell an, dann kannst du rein«, antwortete ich.
»Bleib ruhig sitzen.«
Julija schlüpfte in den kleinen Vorraum. Bald hörte ich den Ofen zischen. Ich trank mein Bier. Die Tür knarrte und Julija kam heraus, in ein Badetuch gewickelt, ging zum Steg, ließ das Tuch fallen und glitt ins Wasser. Sie war schön.
Julijas Haare lagen wie eine schwimmende Schleppe auf dem Wasser. Sie schwamm eine Runde, watete dann ins Flache und stemmte sich zurück auf den Steg, ohne sich zu genieren oder ihre Nacktheit zur Schau zu stellen. Sie drehte ihre Haare zu einem dicken Tau und drückte das Wasser heraus, das ihr über den Rücken auf die Pobacken lief. Ihre Hüften waren im Verhältnis zum Oberkörper und zur Taille ein wenig ausladend. Beim Shopping ärgerte sie sich vermutlich über ihren Hintern: In der Hose sehe ich furchtbar aus. Ihre Oberschenkel waren kräftig, ihre Knöchel ebenfalls. All das würzte ihre Schönheit mit anrührender Plumpheit.
Julija wickelte das Badetuch um sich und setzte sich neben mich. Sie trank einen Schluck von dem Bier, das ich ihr anbot. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es kam mir so natürlich vor, einfach nur still nebeneinanderzusitzen. Es fehlte nur noch ein Kuckuck, dessen Rufe uns die Anzahl der glücklichen Jahre, die Lebenszeit oder die Kinderzahl prophezeit hätte.
»Die Katze frisst Gras«, sagte Julija plötzlich. »Meine Oma hätte behauptet, das bedeutet, dass es morgen regnet.«
»Das hat meine Mutter auch immer gesagt. Allerdings war es bei ihr wohl ein Hund«, entgegnete ich und bereute meine Worte sofort. Meine verstorbene Mutter war sicher so alt wie ihre Oma, wenn nicht gar älter, und daraus ergab sich unausweichlich, dass Julija mich für uralt halten würde.
»Warst du schon mal in Finnland?«, versuchte ich mich durch einen Themenwechsel zu retten.
»Ja. Schon zweimal. Mit Wronskij und mit ein paar Freundinnen, zum Einkaufen bei Stockmann. Da hat man uns von oben herab behandelt, aber unser Geld war ihnen gut genug. Und am Abend in der Bar hat man uns alle möglichen Anträge gemacht. Zum Glück habe ich nicht alles verstanden. Halten die Finnen alle Russinnen für Huren?«
»Ziemlich viele denken so«, gab ich zu.
»Andererseits ist es hier auch nicht leicht, anständige Männer zu finden«, seufzte Julija und vermittelte mir erneut das Gefühl, ein harmloser Onkel zu sein. »Ich habe immerhin einen akademischen Abschluss und will arbeiten, statt irgendeinen versoffenen Kerl zu umsorgen, der am Wochenende zum Eislochangeln geht und erwartet, dass ich ihm Pasteten als Vorspeise und Kuchen zum Nachtisch backe.«
Ich brummte wieder etwas Zustimmendes, versuchte den Eindruck zu erwecken, dass ich ganz anders war, verständnisvoll und modern.
»Wronskij ist nur mein Arbeitgeber, sonst nichts.« Julija sah mir in die Augen, sprach langsam und mit Nachdruck, als sei diese Information wichtig für mich.
»Ich weiß. Über Wronskij weiß ich Bescheid.«
Aus der Nähe sah ich, dass Julija Sommersprossen auf der Nase hatte. Sie schmeckte gut.
8
Das Haus lag an einem kleinen Abhang.
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