Zeit des Verrats: Finnland-Krimi: Finnland-Krim
Man betrat es über eine schräge Brücke aus runden Bohlen. An der Giebelseite war das Gebäude zweistöckig. Oben befand sich ein offener, großer Raum, dem zwei schmale, schmutzige Fenster ein wenig Helligkeit gaben. An den Wänden war allerhand Krimskrams gelagert, alte Fischernetze, zerbrochene Schlitten, einzelne Skier, Plastikkanister und Bauholz.
Der Kuhstall war, wie in karelischen Bauernhäusern üblich, ebenerdig unter der Wohnstube. Durch die Ritzen zwischen den Bodenbrettern stieg warmer Kuhgeruch. In der Ecke, über dem Misthaufen, befand sich der Abort. Ich hielt ein wenig die Luft an, denn ich ahnte den stechenden Ammoniakgeruch schon von Weitem.
In der Stube hatte der Bauer inzwischen das Stadium der Sprechunfähigkeit erreicht. Er war bereits bei unserer Ankunft betrunken gewesen, hatte schwankend auf dem Hof gestanden und mit dem finnischen Traktor des Nachbarn geprahlt, mit dem gerade der Boden für einen neuen Kuhstall ausgehoben werde. Wir gießen einen Betonboden, da freuen sich die Kühe und geben so viel Milch, dass die Bäuerin mit dem Melken gar nicht nachkommt, hatte Iwan, der Bauer, gelallt.
Die Bäuerin war eine schlanke Frau. Sie brachte es fertig, das Gehabe ihres Mannes freundlich zu betrachten, als sei es unabänderlich, ein Naturgesetz. Und das war es in diesen Dörfern ja auch. Dennoch erklärte sie entschuldigend, Iwanka feiere seinen vierzigsten Geburtstag, das heißt, der große Tag sei eigentlich schon letzte Woche gewesen, aber der prasnik gehe immer noch weiter. Erneut fühlte ich mich beinahe reif für die Rente. Ich hatte den Mann mindestens auf Mitte fünfzig geschätzt.
Koljukow und Wronskij hatten bereits gegessen, saßen aber noch am Tisch, halbvolle Wodkagläser vor sich. Wie es um Bekaris Nahrungsaufnahme stand, wusste ich nicht. Er saß im Schaukelstuhl und starrte an die Wand wie ein Indianer, dem das Vergehen der Zeit gleichgültig ist, nichts weiter als das Vorrücken der Zeiger oder der Weg der Sonne von einem Himmelsrand zum anderen.
Es gab Salzfisch, Kartoffeln, Soße mit ein paar dünnen Streifen Fleisch, gebratenen Reis mit Pilzen, zu trinken Bier, Wein und Wodka sowie irgendeinen mit Beerensaft gemischten roten Schnaps. Dazu zwei Sorten Brot, als Aufstrich deutsche Margarine. Die Bäuerin forderte uns auf, zuzugreifen, sprach ein paar Worte Finnisch, als sie erfuhr, dass ich die Sprache beherrschte.
Ich grätschte über die Bank. Julija sagte, sie wolle die Mails kontrollieren, und ging in eine kleine Kammer, wo sie einen Laptop aufklappte. Ich lud mir den Teller voll und wunderte mich über meinen Appetit. Immerhin hatten wir im Hotel Sewernaja reichlich gegessen.
Bald kam auch Julija an den Tisch, beugte sich über Wronskij und erstattete ihm leise Bericht. Er nickte nur, sagte ihr nicht, was sie antworten sollte. Julija setzte sich graziös schräg auf die Bank und schmierte sich trotz des Drängens der Bäuerin nur ein Brot.
Ich trank zum Nachtisch Tee und kostete gerade von der Beerenpastete, als Wronskij sich neben mich setzte.
»Ich freue mich, dass ich dir begegnet bin. Ein schöner Zufall«, wiederholte er.
»Wahrhaftig ein Zufall«, erwiderte ich trocken.
»Na, na, Viktor. Glaub mir, du kannst profitieren. Wenn du klug bist. Schau, was Wirtschaft ist, das ist auch Politik. Und gerade die Politik ist Wirtschaft. Denk doch nur an die jetzige Gaunerregierung. Und daran, wie sie mit ihren kleinen Nachbarn umspringt, mit Georgien zum Beispiel«, flüsterte Wronskij.
»In die Politik mische ich mich nicht ein«, wehrte ich ab. »In Finnland bin ich zur Wahl gegangen, weil ich dachte, das gehört sich so. Aber die russische Politik … die fasse ich nicht mal mit der Kneifzange an.«
Wronskij legte den Kopf schräg und lächelte mich an, als sei ich ein unverständiges Kind. »Ein Geschäftsmann muss wissen, wem er trauen kann und wem nicht. Glaubst du, Putins Clique herrscht für immer und ewig?«
»Das weiß ich nicht. Aber Medwedjew hat doch einiges zustande gebracht, das Land floriert.«
»Medwedjew ist eine Marionette, die Putin tanzen lässt. Und der tanzt selbst nach der Pfeife der Businessmänner«, fauchte Wronskij.
Ich schwieg eine Weile. »Und wer lässt dich tanzen, Arseni?«, fragte ich dann, nannte ihn absichtlich bei seinem alten Namen.
Wronskijs Augen machten eine rasche, unsichere Bewegung zur Seite, wie bei fast allen Menschen, die sich anschicken, zu lügen oder zumindest die Wahrheit zu umgehen.
»Viktor, Geld stinkt
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