Zeit des Verrats: Finnland-Krimi: Finnland-Krim
Ehemann. Annas Vater, das ja, aber was ist er eigentlich für mich?, überlegte die Frau. Ein alter Sportler, wiederholte sie in Gedanken. Oder ein ehemaliger. Mein ehemaliger Mann, der Gedanke schlich sich ein, und die Frau erschrak.
Sie setzte sich wieder an den Computer, überprüfte ihre Tabellen noch einmal und speicherte sie ab. Dann nahm sie das Handy und suchte nach der Nummer. Das Freizeichen surrte anders als in Finnland. Die Stimme des Mannes bat darum, eine Nachricht zu hinterlassen, und wiederholte dasselbe auf Finnisch. Die Frau unterbrach die Verbindung.
Das Glas war auf dem Gartentisch stehen geblieben. Die Frau holte es und füllte es mit kühlem Wein. Sie setzte sich an den Küchentisch und starrte auf ihr Handy. Ihre Finger zitterten ein wenig, als sie den Empfänger eingab und eine SMS tippte. Hallo Liebling, hoffentlich piepe ich dich nicht zur falschen Zeit & am falschen Ort an. Wären morgen ein paar Drinks denkbar? Marja.
Die Frau befahl sich, die Nachricht abzuschicken, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Weg war sie, nicht mehr zurückzuholen.
Wie ein Gedanke. Wenn man ihn einmal gedacht hat, ist er eine bleibende, wahre, unwiderrufliche Tatsache.
Die Frau wusste, dass sie vor Aufregung lange wach liegen und unruhig schlafen würde.
6
Das Telefon vibrierte. Marja ruft an , stand auf dem Display. Ich steckte das Ding wieder in die Tasche.
»In Kontupohja haben wir das Krankenhaus renoviert. Da wurden 156 Klos eingebaut, in einem Rutsch. Von zwei Klempnern. Die haben gesagt, ab jetzt ist Gustavsberg für sie ein Schimpfwort. Wir haben ausschließlich Importware verwendet«, prahlte Koljukow. Er erinnerte mich an einen Nachbarn damals in Sortavala, der sein Grundstück abmaß und auf eine Stelle hinter dem schiefen Plumpsklo zeigte und jahrelang immer wieder erklärte, da zimmern wir vielleicht eine Sauna.
Koljukows dröhnende Stimme schallte durch das Restaurant. Er hatte darauf bestanden, dass wir nach dem Essen noch eine Flasche Schaumwein bestellten oder ein paar Hundert Gramm Wodka, falls der uns lieber wäre. Die jüdischen Geschäftsmänner waren einverstanden gewesen. Sie tranken vorsichtig, aber immerhin tranken sie mit, plauderten locker und waren angenehme Gesellschafter.
Der Angriff überraschte mich. Der Mann kam von hinten und machte mich rasch kampfunfähig, zog meinen rechten Arm hinter die Stuhllehne und fixierte ihn mit dem Knie an der Schmerzgrenze. Gleichzeitig würgte er mich. Mein linker Arm war frei, doch den Angreifer bekam ich damit nicht zu fassen. Zudem hatte auch er eine Hand frei, und in der hielter vermutlich eine Waffe. Der Schluss lag mehr als nahe. Der Mann war ein Profi, bestens geschult.
»Vova, Vova«, säuselte eine heisere Stimme an meinem Ohr. »Du bist verweichlicht. Lässt dich von einem alten Mann so überraschen.« Die Stimme kam mir entfernt bekannt vor. Sie klang ein wenig schlaff und gedehnt. Als ich die Luft aus meiner Lunge entweichen ließ, lockerte der Angreifer seinen Griff.
Ich drehte den Kopf und sah ihn an. Er war kleiner als ich, wirkte fast schmächtig, trotz seines Kugelbauchs. Die schwarzen, bereits schütteren Haare waren glatt zurückgekämmt und fielen hinten über den Kragen. Im Gesicht hatte er Aknenarben, und die braunen Augen waren wässrig wie früher, vor fast zwanzig Jahren. Der Spitzbart war neu. Er ließ den Mann wie einen falsch gefärbten Doppelgänger Lenins aussehen.
»Arseni Kasimirow!« Nun erinnerte ich mich. Wir waren gemeinsam bei der Spezialausbildung gewesen, in derselben Einheit der zweiten separaten Speznaz-Brigade der 7. Armee im Militärbezirk Leningrad.
»Wronskij«, berichtigte mich Arseni.
»Was?«
»Ich nenne mich neuerdings Wronskij. Nur Wronskij. Tatsächlich ist das der Name meiner Familie. In der Sowjetzeit hatten wir einen russischeren Namen, weil wir Grusier nicht so beliebt waren. Na ja, populär sind wir heute ja auch nicht, in der Zeit Georgiens«, sagte er leise, freudlos.
Mein Geschäftspartner Koljukow klatschte entzückt in die Hände. »Die Welt ist klein! Ihr kennt euch? Wronskij war nämlich der Mittelsmann bei diesen Verhandlungen«, erklärte er hocherfreut.
Wronskij wandte sich an die Tischrunde und winkte wie ein Hofmarschall.
»Ich hatte mit meinen Partnern ein Treffen im Restaurant an der Uferpromenade und würde euch gern dazuholen. Inzwischen habt ihr genug ernste und langweilige Gespräche geführt. Und nun gibt es sogar noch einen weiteren Grund zum
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