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Zeit des Verrats: Finnland-Krimi: Finnland-Krim

Zeit des Verrats: Finnland-Krimi: Finnland-Krim

Titel: Zeit des Verrats: Finnland-Krimi: Finnland-Krim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matti Rönkä
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supergeheime Einrichtungen gewesen waren, in denen es vor allem um die Entwicklung von Lenksystemen und Rechenanlagen für moderne Waffen und Raumfahrttechnik ging.
    In Nuosjärvi hielt ich an einem Laden, den ich kannte, und sagte, ich wolle etwas zu trinken kaufen. Julija blieb im Wagen. Ein Auto fuhr vor, dem eine Horde verschwitzter junger Männer entstieg. Einige trugen Fußballschuhe. Im Schatten an der Giebelwand hockten drei betrunkene Männer, und eine alte Frau schlief ihren Rausch aus, lang hingestreckt, mit dem Kopf beinahe in einer Regenpfütze. Ich verriegelte die Autotüren mit der Fernbedienung und nickte Julija zu. Eine Sekunde lang quälte ich mich mit der eifersüchtigen Überlegung, ob sie die jungen Männer interessiert betrachtete.
    Im Laden gab es die unterschiedlichsten Waren, aber von allem nur wenig. Zum Verkauf standen eine braune Sofagarnitur, zwei in Fernost zusammengebaute Fahrräder, Konserven, Mehl, in der kahlen Kühltheke lagen blasse Würsteund ein Stück Schweinerippe. Ich kaufte einige Dosen Limonade und Kekse.
    Wir veranstalteten kein Picknick vor dem Laden, sondern setzten unsere Fahrt fort. Bald passierten wir die Schlachtfelder des Winterkriegs. Bei Koirinoja verringerte ich das Tempo, als wir das Trauerkreuzdenkmal erreichten. Julija fragte nach dem finnischen Winterkrieg, der in ihren Geschichtsbüchern nicht separat behandelt worden war. Ich erklärte ihr, dass der Große Vaterländische Krieg sich in der Geschichtsschreibung der Gegenseite ganz anders darstellte und dass man in Finnland nach wie vor über die Deutungen debattierte.
    Die Straße führte schnurgerade durch ebene Kiefernwälder. In der Ferne sah ich Sonnenlicht, das von einem Autofenster reflektiert wurde. Ich fuhr langsamer, und als wir näher herangekommen waren, entdeckte ich einen dunkelblauen Lada, der mit zersprungener Windschutzscheibe und eingedrücktem Bug am Straßenrand stand. Ich ging noch weiter vom Gas, behielt aber den Waldrand auf beiden Seiten im Auge. Der Unfall konnte von Räubern fingiert worden sein, die hilfsbereiten Fahrern Geld und Handys abnahmen.
    Hinter dem Wagen stand eine alte Frau, die eine Kuh am Strick hielt. Im Graben lag eine zweite rotbraune Kuh, blutüberströmt, mit gestreckten Läufen. Der Fahrer saß im Auto und sprach am Handy.
    Julija stieß einen Laut des Entsetzens aus. Ich sagte, wir könnten nichts mehr tun. Die alte Frau hatte ihre Kuh und die Kuh ihr Leben verloren, wir brauchten das Tier also nicht von seinem Leid zu erlösen. Und der Autofahrer schien unverletzt davongekommen zu sein.
    »Es war nur ein so trauriger Anblick«, meinte Julija, und ich fand, das hatte sie schön gesagt.
    Wir machten keinen Abstecher nach Sortavala, sondernfuhren direkt weiter in Richtung Värtsilä. Besuche in meinem leeren Elternhaus oder Begegnungen mit alten Verwandten stimmten mich nur traurig, das wusste ich inzwischen. Julija war nicht der Grund für meine Eile. Ich hätte ohne Weiteres erklären oder unerklärt lassen können, wieso ich eine Frau bei mir hatte, und niemand hätte sich gewundert.

11
    »Ganz schön scharfe Biene«, sagte mein Bruder leise. Er schielte zu Julija hinüber, die die Gesichtscremes im Kosmetikregal inspizierte. »Die Joe Blascos gibt’s im Sonderangebot, ich habe eine größere Lieferung bekommen«, warb er laut. Julija lächelte und schenkte mir einen Blick, der mich bezauberte.
    Mein Bruder Alexej hatte die Geschäftstätigkeit, die er in Helsinki in der Halle in Tattarisuo begonnen hatte, erweitert und ein Industriegebäude südlich von Lappeenranta gekauft, das er als Warenhaus bezeichnete. Der Laden war speziell für russische Kunden konzipiert. Der große Raum bestand aus Dutzenden von kioskartigen Abteilungen, auf den Angebotsschildern stand der russische Text zuoberst und in größerer Schrift als der finnische, und auf dem Dach des Gebäudes leuchtete grell die Lichtreklame Alexej Gornostajew Jr . In seiner alten Halle verkaufte mein Bruder weiterhin Autoersatzteile und Motoröl, Arbeitsmaschinen und Restposten diverser Chemikalien.
    Ich musste zugeben, dass Alexej sich als Kaufmann erfolgreich behauptete. In der Sowjetunion war er ein auf Tribologie spezialisierter Ölingenieur gewesen, der sich bestens mit der Überwindung des Reibungswiderstands auskannte, aber nichts zu kaufen oder zu verkaufen brauchte. Im neuen Russland hatte er seine Arbeit fortgesetzt, nun im Dienst derprivatisierten Ölindustrie. Ich vermutete, dass er immer

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