Zeit des Zorn
auch.«
»Getrennte Schwänze,
schon vergessen?«, sagt Chon. »Ich nicht.«
»Wir sind aber nicht alle
wie du«, sagt Ben. »Wir verspeisen keine fünfzehn Terroristen zum Frühstück.
Ich will keinen Krieg. Ich hab mit der Sache nicht angefangen, um Kriege zu
führen, Menschen umzubringen oder umbringen zu lassen, ihnen die Köpfe
abzuhacken. Das war mal eine ziemlich lässige Angelegenheit, aber wenn es jetzt
dieses Level an Brutalität erreicht, dann vergiss es. Damit will ich nichts zu
tun haben. Die denken, wir haben Angst vor ihnen? Wen interessiert's? Wir sind
nicht mehr in der fünften Klasse, Chon.«
Nein, sind wir nicht,
denkt Chon. Hier geht's nicht um Stolz, um einen Ego-Trip oder um
Schwanzlängen.
Ben kapiert bloß nicht,
wie diese Leute ticken. Er schnallt nicht, rational, wie er ist, dass die seine
Vernunft als Schwäche auslegen werden. Und wenn sie Schwäche sehen, wittern
sie Angst und schlagen zu.
So schnell guckst du
nicht.
Aber das wird Ben nie
kapieren.
»Wir können keinen
offenen Krieg gegen das Kartell führen, das haut schon rein rechnerisch nicht
hin«, sagt Ben.
Chon nickt. Er hat
Männer, die er rekrutieren könnte, gute Leute, aber das BK hat eine ganze
Armee. Trotzdem, was willst du machen? Dir die Gleitcreme schnappen und dich
über die Reling beugen?
»Wir haben unseren
Lebensunterhalt damit verdient«, sagt Ben. »Aber meine Eier hängen nicht dran.
Wir haben Geld wie Heu. Cookinseln, Vanuatu ... wir können uns ein schönes
Leben machen. Vielleicht sollten wir uns allmählich auf andere Sachen
konzentrieren.«
»Schlechter Zeitpunkt für
eine Unternehmensgründung, Ben.«
Der Markt ist eine
Rodelbahn. Der Kreditfluss ein Abgrund. Das Vertrauen der Konsumenten auf
einem historischen Tief angelangt. Es ist das Ende des Kapitalismus, wie wir
ihn kannten.
»Ich denke an alternative
Energien«, sagt Ben.
»Windräder, Solarmodule,
so ein Scheiß?«
»Warum nicht?«, fragt
Ben. »Hast du von diesen Vierzehn-Dollar-Laptops für Kinder in Afrika gehört?
Was, wenn man ein Solarmodul für zehn Dollar produzieren könnte? Das würde die
scheiß Welt verändern.«
Ben hat immer noch nicht
gerafft...
... denkt Chon ...
...
dass man die Welt nicht verändert. Sie verändert dich. Zum Beispiel...
Drei
Tage nachdem Chon aus der Kriegsmühle zurückgekehrt ist, sitzt er mit O in
einem Restaurant in Laguna, als ein Kellner ein Tablett
fallen lässt. Es scheppert.
Chon taucht unter den
Tisch.
Kauert auf allen vieren
da unten und greift nach einer Waffe, die er nicht hat, und wäre Chon überhaupt
irgendwas peinlich, würde er jetzt vor Scham im Boden versinken. Aber egal,
weil's ganz schön hart ist, sich in einem Restaurant voller Menschen, die
einen anstarren, wieder möglichst lässig auf den Stuhl zu setzen, und weil ihm
das Adrenalin immer noch durch die Nervenbahnen schießt, bleibt er da unten.
O kommt zu ihm runter.
Er guckt rüber, und da
ist sie. Sieht ihm direkt in die Augen.
»Ganz schön schreckhaft,
wie?«, fragt sie. »Bisschen.« Gute Antwort, »bisschen«. Ein-Wort-Antworten
sind sowieso meist die besten.
O sagt: »Solang wir hier so gemütlich beisammensitzen ...“
»Das
ist bestimmt verboten, O.«
»Ich lass mich nicht zur
Sklavin irgendwelcher Vorschriften machen.« Sie streckt den Kopf unter dem
Tisch hervor und fragt: »Könnten wir noch mal Wasser haben, bitte?«
Der Kellner bringt es
ihr, unter den Tisch.
»Irgendwie gefällt es mir
hier unten«, sagt sie zu Chon. »Das ist wie ein Fort bauen, als Kind.«
Sie greift hoch, nimmt
die Speisekarten und gibt Chon eine davon. Nachdem sie ein paar Augenblicke
drin geblättert hat, sagt sie: »Ich nehm den Caesar Salad.«
Der Kellner, ein junger
Surfer-Typ mit perfekter Sonnenbräune und perfekten weißen Zähnen, geht neben
dem Tisch in die Hocke. »Darf ich Ihnen unsere Specials anbieten?«
Laguna muss man einfach lieben.
Und O auch.
Ben
will Frieden. Chon weiß
Dass man mit wilden
Bestien keinen Frieden schließen kann.
O wacht auf, zieht sich an und kommt raus auf die Terrasse.
Sollte dem Mädchen die
Anwesenheit zweier Männer, mit denen sie gleichzeitig was hat, peinlich sein,
so lässt sie es sich nicht anmerken. Wahrscheinlich, weil es ihr nicht peinlich
ist. Sie betrachtet das schlicht und arithmetisch:
Mehr Liebe ist besser als
weniger.
Sie hofft, dass es den
beiden ebenso geht, und wenn nicht... Kann man nichts machen.
Ben und Chon beschließen,
nach Dickyville zu
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