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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
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gehen.“
    Ich stand abrupt auf. Hätte ich doch nur den Mund gehalten! War es denn so schwer, mein Verhalten nachzuvollziehen? Nina hielt mich für oberflächlich und gedankenlos. Ich merkte es deutlich, auch wenn sie es nicht aussprach. Schon seit der Pubertät musste ich gegen dieses Vorurteil ankämpfen. Dabei war ich nicht oberflächlich. Ganz und gar nicht. Und ich machte mir über viele Sachen Gedanken. Vielleicht sogar über zu viele. Nur weil ich schöne Kleider liebte und mehr als nur eine Handtasche besaß, hieß das nicht, dass sich mein IQ im zweistelligen Bereich bewegte. Ich wurde schlichtweg sehr, sehr oft missverstanden. Meinen Hamster zum Beispiel, der vor fünf Jahren gestorben war, hatte ich nicht Paris Hilton genannt, weil ich das blonde It-Girl so toll fand, sondern weil er stundenlang vor seinem kleinen Spiegel saß und sich putzte. Die pinkfarbene Prinzessinnenschlafmaske trug ich nicht, weil sie mir besonders gut gefiel, sondern weil ich nur bei völliger Dunkelheit schlafen konnte. Hätte ich vielleicht das schwarze Modell mit der Aufschrift „Pirat“ wählen sollen?
    In der Oberstufe hatte ich versucht, gegen das eindimensionale Bild, das meine Umgebung von mir hatte, aufzubegehren, indem ich täglich Nachrichten schaute und mir eine dunkle Nerdbrille mit Fenstergläsern kaufte. Doch irgendwann fand ich mich damit ab, dass ich „Brisant“ lieber mochte, als das „heute journal“, dass mir Pink besser gefiel als Beige und ich stand zu meinem Ruf als dümmliche Blondine. Er war ganz praktisch. Man erwartete so wenig von mir. Ich hatte auf jeden Fall in der Schule niemals als Streberin gegolten, obwohl ich eine der zehn Schülerinnen und Schüler in meinem Jahrgang war, deren Abiturschnitt unter 2,0 lag. Wahrscheinlich hielten es die meisten meiner Mitschüler für eine Verwechslung, als mein Name bei der Zeugnisvergabe in diesem Zusammenhang vorgelesen wurde.

    Puck sprang fröhlich um uns herum und schnappte nach herumwirbelnden Blättern, als Nina und ich den steinigen Weg zu der Waldkapelle hochschlenderten, die geduckt hinter einigen bunt belaubten Büschen auf einer Anhöhe lag. Einst war sie die Dorfkirche des kleinen Weilers Oberberghausen gewesen, doch heute erinnerten nicht einmal Ruinen daran, dass sich hier, mitten im Wald, ein Dorf befunden hatte. Durch einen Farn-Dschungel hindurch erreichten wir einen zugewucherten Friedhof, auf dem sich mehrere schmiedeeiserne Grabkreuze aus dem 18. und 19. Jahrhundert befanden. Obwohl es der Sonne endlich gelungen war, den Nebelschleier beiseitezuschieben und der Friedhof in warmen Gold- und Grüntönen glänzte, lag eine schwermütige Stimmung über der Szenerie. Schweigend marschierten wir zwischen den Zeichen menschlicher Vergänglichkeit hindurch. Ein sanfter Wind strich mir durch das Gesicht und raschelte an den bunten Blättern. Einige von ihnen schwebten zu Boden und ich musste an ein Herbstgedicht von Rilke denken. Vor einem besonders schön verschnörkelten Metallkreuz blieb ich stehen. Eine Plakette war darauf angebracht, auf der vier Personen zu sehen waren. Ihre Körper wurden von rot glühenden Flammen aufgefressen. Darunter stand: „Hier ruht die Familie Weller. Möge der Herr ihre Seelen aus dem Fegefeuer befreien.“
    Nachdenklich betrachtete ich die Inschrift einige Zeit. Dann fasste ich einen Entschluss: Ich würde mich zusammenreißen und Ninas Ratschläge beherzigen, um körperlich und seelisch einigermaßen auf die Beine zu kommen. Und dann würde ich nach Irland fahren, um David zu suchen.
    Himmel oder Hölle? Alles war besser, als der Zustand dazwischen!

Paul zappelte erfreut mit Armen und Beinen, als er Sam sah, und verlangte, auf den Boden gesetzt zu werden, damit er zu ihm krabbeln konnte. Mechanisch hob Sam ihn hoch. Er sah müde und blass aus.
    „Es tut mir leid, dass …“, fing ich an.
    Sam nahm mich in seinen freien Arm. „Ist alles wieder getrocknet. Mir tut es auch leid. Ich hätte dir sagen sollen, dass …“
    „Ja! Hättest du.“ Ich ließ meinen Kopf gegen seine Schulter sinken. „Gestern war ein Scheißtag.“
    „Ich weiß. Ich habe vorhin bei dir auf der Arbeit angerufen. Einer deiner Kollegen hat mir alles erzählt. Und du bist nicht an dein Handy gegangen. Ich habe mir Sorgen gemacht.“
    „Ich hatte Angst, dass wir uns wieder angiften. Deshalb habe ich es erst gar nicht mitgenommen.“ Ich zeigte auf die Kommode im Flur. „Ich dachte, es wäre besser, wenn wir uns bei unserem Gespräch

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