Zeit für Eisblumen
Zeigefinger darauf. „Das ist es.“
Ich bedankte mich, kaufte einen Becher Tee und ein Croissant und verließ den Laden. Auf einer Bank vor dem Shop ließ ich mich nieder und versuchte, mich gedanklich auf meine Konfrontation mit der Vergangenheit vorzubereiten …
„Ich habe Hunger. Möchtest du eine Kleinigkeit mit mir essen gehen?“, fragte David, nachdem unser Dreh am frühen Nachmittag beendet war.
„Ich habe erst um sechs Uhr Redaktionsschluss“, entgegnete ich abwehrend.
Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er vor mir und sah mich provozierend an. Ich stellte mir vor, wie sich seine Lippen auf meine legten und seine Hände an unanständigen Stellen meines Körpers entlang wanderten. Mein Körper schrie ja, mein Verstand nein.
„Gegen halb sieben kann ich in der Stadt sein“, sagte ich.
Wir aßen eine Kleinigkeit in einer versteckt liegenden Pizzeria, schlenderten durch die verwinkelten Gässchen von Schwabing, bis die Sonne unterging, und bogen in den Englischen Garten ab, wo wir uns auf den Steinplatten des Monopteros niederließen. Der Mond stand wie eine große gelbe Scheibe am Himmel und der Wein, den wir in einem Zeitungsladen gekauft hatten, sorgte dafür, dass ich mich entspannt und schwerelos fühlte.
Nachdem ich David zu seiner Pension gebracht hatte, standen wir uns einige Augenblicke unschlüssig gegenüber. David musterte mich. Sein Blick glitt so langsam und intensiv an meinem Körper auf und ab, dass ich mich beinahe nackt fühlte. Gleichzeitig fing mein Unterleib an zu kribbeln bei dem Gedanken, was gerade in seinem Kopf vor sich ging. Sein Gesichtsausdruck ließ keine Zweifel zu. Himmel, was machte er bloß mit mir?
„Also, ich geh dann jetzt. War schön, dich getroffen zu haben“, stammelte ich und wollte mich schon abwenden.
Aber David kam auf mich zu. Er legte eine Hand in meinen Nacken und zog mich zu sich heran.
„Ich sollte nicht hier sein!“, dachte ich. Doch dann kamen mir Sams Worte in den Sinn. Warum muss er alles kaputtmachen?
Davids Atem brannte auf meiner Haut. Wir standen so dicht zusammen, dass kein Blatt mehr zwischen uns gepasst hätte. Als seine Lippen auf meinen Mund trafen, schmolz auch der letzte Rest von Gegenwehr dahin. Atemlos erwiderte ich seinen Kuss.
Irgendwie gelang es David, die Eingangstür der Pension zu öffnen und auch die seines Zimmers. Und wir hatten uns wohl auch für einen Moment voneinander gelöst, denn mein Oberkörper war plötzlich nackt. Doch ich konnte mich nicht daran erinnern, das Shirt ausgezogen zu haben. Ich konnte mich an überhaupt nichts mehr erinnern. Plötzlich verschmolzen alle Berührungen zu einer einzigen. Das billige Pensionszimmer wurde zu einem luftleeren Raum, in dem es weder ein Gestern noch ein Morgen gab. Es gab auch keinen Platz mehr für Hemmungen oder Reue. Der Mond schien durch einen Spalt des Vorhangs und beleuchtete das zerwühlte Laken, die herabgefallenen Decken und unsere inzwischen nackten Körper, die atemlos und verschwitzt miteinander zu ringen schienen.
Am nächsten Morgen schlich ich mich mit schlechtem Gewissen und der Erkenntnis davon, dass Davids unerschütterlich wirkende Fassade sehr wohl zum Einsturz gebracht werden konnte.
Oh Gott! Ich musste aufhören, daran zu denken. Sonst würde ich es niemals schaffen, ihm einigermaßen souverän gegenüberzutreten. Mit klopfendem Herzen näherte ich mich dem Appartementkomplex F und wollte gerade das Klingelschild mit der Nummer 103 herunterdrücken, als ein junger Mann im Trenchcoat nach draußen ging und mir die Tür aufhielt. Er lächelte mich an und ich trat in einen dunklen Gang, in dem es nach abgestandenem Fett und Putzmittel roch. Ein Schild am Treppenabsatz zeigte mir, dass die Appartements 100 bis 110 im Erdgeschoss lagen. Da meine Absätze auf dem Linoleumboden laut hallten, schlich ich auf Zehenspitzen weiter. Zimmer 100, 101, 102, noch drei Schritte, zwei, einen, und ich stand vor einer abgeblätterten grauen Metalltür. Beherzt hob ich die Hand und klopfte an. Ich presste mein Ohr an die Tür. Doch kein Laut war zu hören. Ich klopfte erneut. Dieses Mal nachdrücklicher. Ich hatte Erfolg.
„One moment“, nuschelte es hinter der Tür. Ich hörte scharrende Geräusche. Mein Herz rutschte von meinem Bauch über meine Knie bis in meinen großen Zeh. Die Tür wurde geöffnet und ich stand einem dürren, blassen Typen in Boxershorts gegenüber.
„Sorry“, stotterte ich. „Wohnt ein David Gallagher hier?“
Der Typ
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