Zeit für Eisblumen
Abend davon erzählt. Es muss dort beeindruckende Steilküsten geben. Hast du Lust in den nächsten Tagen dorthin zu fahren?“
„Vielleicht“, antwortete ich vage. Jetzt, wo es unwahrscheinlich war, dass ich David finden würde, erschien mir die Aussicht, länger in diesem verregneten Land zu bleiben, wenig verlockend.
„Also ich möchte auf jeden Fall hin. Bennett hat mir angeboten, mich zu begleiten, falls du keine Lust hast. Auch Heinrich Böll war da. Er schreibt …“
Ich hörte nicht mehr zu. Ihre gute Laune nervte mich.
„Schau nur! In diesem Reisebüro gibt es Tickets zu den Aran Islands.“ Milla quiekte entzückt auf und riss mich damit aus meinen Gedanken. „Kommst du mit oder soll ich Bennett fragen?“
„Nein, ich komme mit“, sagte ich lustlos. Ich wusste zwar nicht, was ich auf diesen Inseln sollte, Geschäfte gab es dort bestimmt keine, aber die Aussicht einen ganzen Tag mit Paul allein in Galway herumzuhängen, war eher suboptimal.
Hinter dem Schreibtisch im Reisebüro saß eine junge Frau, die mich wegen ihrer langen kastanienbraunen Locken ein wenig an Nina erinnerte.
„Was kann ich für Sie tun?“, erkundigte sie sich.
„Wir möchten zwei Tickets für die Aran Islands kaufen“, antwortete Milla.
„Auf welche Insel wollen Sie denn?“
„Welche würden Sie mir denn empfehlen?“
Gelangweilt schlenderte ich an den Auslagen mit den Reisekatalogen vorbei. Balearen, Kanaren, Thailand. Ich hätte auf meine Mutter hören und nach Ägypten fliegen sollen. Da Paul unruhig wurde, schob ich seinen Kinderwagen vor eine Stellwand mit Prospekten und drückte ihm einen der Zettel in die Hand. Ein Natursteinhäuschen war darauf abgebildet. Es stand auf einer Anhöhe am Meer. „Achill Island. Herzlich willkommen am Ende der Welt“ prangte in großen weißen Buchstaben auf dem blauen Hintergrund. Aufgeregt nahm ich Paul den Zettel ab. Seinen Protest beachtete ich nicht.
„Wo liegt Achill Island?“, unterbrach ich die Verkäuferin, die gerade dabei war, meine Mutter über die unterschiedlichen Vorzüge der drei Aran Islands aufzuklären, und wedelte mit dem Prospekt vor ihrer Nase herum.
Sie ließ ihren Blick ein wenig verwirrt zwischen mir und Milla hin und her schweifen und wusste nicht, wem von uns beiden sie jetzt ihre Aufmerksamkeit schenken sollte. „Achill Island liegt etwa 100 Kilometer von hier in der Nähe von Westport.“
„Gibt es eine Fähre?“
„Die Insel ist durch eine Drehbrücke mit dem Festland verbunden. Sie können Sie bequem mit dem Auto erreichen.“
„Stimmt es, dass Achill Island auch als das Ende der Welt bezeichnet wird?“
„Nicht ganz Achill Island. Aber die Keem Bay, ein Strand am westlichsten Zipfel der Insel. Im Sommer ist er bei Surfern sehr beliebt.“
Ich jubelte innerlich auf. Keem Bay. Surfen. David hatte den Sommer auf Achill Island verbracht. Meine Reise war also doch nicht umsonst gewesen.
Die Verkäuferin drehte sich zu meiner Mutter um. „Möchten Sie die Tickets für die Fähre sofort kaufen?“
Milla schüttelte den Kopf. „Wir kommen heute Nachmittag oder morgen früh wieder.“
„Können wir unseren Ausflug zu den Aran-Inseln noch ein paar Tage verschieben?“, fragte ich Milla, kaum dass wir das Reisebüro verlassen hatten.
Sie musterte mich ein wenig konsterniert. „Warum das denn?“
„Ich möchte mir vorher noch Achill Island ansehen. Ein ehemaliger Kommilitone von mir wohnt dort.“
„Von dem hast du gar nichts erzählt. Sieht er gut aus?“ Sie hob die Augenbrauen nach oben.
„Nein“, sagte ich verärgert. „Und darum geht es auch nicht. Ich habe auch schon eine ganze Weile nicht mehr an ihn gedacht. Erst vorhin, als ich den Prospekt gesehen habe. Ich werde ihn gleich anrufen und fragen, ob ich ihn besuchen kann. Und wenn ich zurück bin, fahren wir auf die Aran Islands und überlegen uns in Ruhe, welche Städte und Sehenswürdigkeiten wir uns noch anschauen wollen. Kannst du auf Paul aufpassen, solange ich weg bin?“
Millas Gesicht verfinsterte sich.
„Warum nimmst du ihn nicht mit?“
„Die Fahrt im Bus ist doch viel zu anstrengend für ihn. Und der Besuch bei meinem Studienkollegen … Er würde sich nur langweilen.“
„Wie lange bist du denn weg?“
„Einen Tag, vielleicht zwei. Aber länger nicht.“
Milla atmete scharf ein. „Zwei Tage. Du weißt, dass ich gerne Zeit mit Paul verbringe. Aber gleich zwei Tage.“
„Vielleicht bleibe ich auch nur einen“, unterbrach ich sie.
„Trotzdem,
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