Zeit für Eisblumen
beliebt.“
„Aber aus Galway kommen wir doch gerade.“ Milla wirkte wenig begeistert. „Die ganze Fahrt war also vollkommen umsonst?“
„Nein, warum denn umsonst? Man hat schließlich nicht jeden Tag die Gelegenheit, einen Bauern kennenzulernen, der wie George Clooney aussieht und einen in die Geheimnisse der Schafzucht einweist“, meinte ich übermütig. Seitdem ich wusste, wo ich David mit Sicherheit finden würde, war ich bestens gelaunt.
„Wie George Clooney?“ Milla zog skeptisch die Nase kraus. „Na ja, am Anfang schien er sehr nett, aber als wir in seinem Schuppen angekommen waren, hatte ich den Eindruck, dass er mir dort nicht nur sein teures Spezialfutter zeigen wollte. Ich habe unseren Ausflug abgebrochen. Schade! Er hatte schöne Zähne. Aber zumindest weiß ich jetzt, warum alle irischen Schafe mit Farbe angesprüht werden.“
„Erzähl!“ In meiner derzeitigen Stimmung war ich sogar dazu bereit, mich für bunt angemalte Shawns zu interessieren.
„Benachbarte Schafzüchter kennzeichnen so die Tiere, die zu ihrer Herde gehören. Ernests Schafe sind zum Beispiel blau, die seiner Nachbarn grün und pink. Einen zweiten Farbklecks sprühen die Züchter drauf, um kranke, geimpfte oder bereits gedeckte Tiere zu markieren. Ich wollte ihn noch fragen, wie er sich sicher sein kann, dass seine Schafe sich nicht mit den blauen Schafen eines anderen Züchters zusammentun. Aber dann ist es mir im Schuppen zu eng geworden.“
„Sehr weise von Ihnen.“ Karen schmunzelte. „Ernest Dunne ist ein ausgesprochener Schürzenjäger und er hat einen guten Geschmack. Obwohl er verheiratet ist, gibt es kaum eine hübsche Frau in Keel und Umgebung, bei der er sein Glück noch nicht versucht hat. Und einige von ihnen waren mehr als bereit, sich sein Spezialfutter aus der Nähe anzusehen. Schlecht aussehen tut er ja nicht.“
Ich merkte, wie Milla mit sich rang. Auf der einen Seite freute sie sich über den Gedanken, dass sie von Ernest als attraktive Frau angesehen worden war, auf der anderen Seite ärgerte sie sich wohl, nur eine von vielen zu sein.
„Karen ist übrigens so nett, uns mit ihrem VW-Bus nach Doagh zu bringen“, warf ich ein, um sie auf andere Gedanken zu bringen.
„Das würden Sie tun?“ Meine Mutter blickte sie entzückt an.
„Klar.“ Karen zuckte mit den Achseln. „Ich muss hier sowieso mal raus und vielleicht bekomme ich auf der Fahrt eine Inspiration. Aber ich fahre Sie besser gleich nach Keel. Doagh ist so klein, dass der Bus nicht immer bis dort raus fährt.“
„Aber es steht auf dem Fahrplan, dass der Bus um fünfzehn Uhr vier abfährt.“ Ich sah sie verwundert an.
Doch Karen schien an diesem kreativen Umgang der Busfahrer mit der Fahrtroute nichts Außergewöhnliches zu finden.
„Es steigt sowieso fast nie jemand dort ein“, meinte sie nur.
Draußen fiel scheppernd eine Mülltonne oder etwas Ähnliches um und durch das Fenster sahen wir, dass der Himmel sich merklich verfinstert hatte, die Wellen donnernd gegen die Felsen getrieben wurden.
„Aber der Sturm. Ist das nicht gefährlich?“, fragte Milla.
Karen lachte. „Ich habe hier draußen schon Schlimmeres erlebt. Nein, nein, ich fahre Sie. Lassen Sie mich nur kurz einen Anruf erledigen.“
Währenddessen kämpften Milla und ich uns durch die Windböen hindurch zum Strand hinunter, um das beeindruckende Schauspiel aus der Nähe anzusehen. Vor uns türmten sich wütenden Wassermassen auf und klatschten gegen die Felsbrocken. Die Wellen hatten breite Furchen in den Sand gegraben und der Wind trieb die Wolken in dichten Geschwadern aufs Festland.
„Ist das nicht fantastisch?“, brüllte ich Milla entgegen, doch sie sah mich nur verständnislos an.
Ich stemmte mich nach vorn, um noch ein wenig näher ans Meer zu gelangen. Doch der Wind wehrte sich. Er bäumte sich auf, fegte meine Kapuze vom Kopf und ließ meine Augen tränen. Millimeter für Millimeter arbeitete ich mich vorwärts und blieb erst stehen, als meine Füße vom Meer umspült wurden. Ich breitete die Arme aus und ließ mich nach hinten fallen. Der Wind fing mich auf und bewegte mich sanft auf und ab. Gischt durchnässte meine Jeans, spritzte hinauf bis zu meinem Haar und tausend kleine Stecknadeln prickelten auf meinem Gesicht. Es war, als würde ich fliegen. Ich beobachtete die Wolken über mir, sah Schiffe, Landschaften und einen Drachen und mit jeder Formation, die an mir vorbeizog, spürte ich, wie ich ein bisschen leichter wurde. Meine Probleme
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