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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
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und der Tag lag so wundervoll leer vor mir. Wie ein Tagebuch, dessen blütenweiße Seiten man füllen konnte, aber nicht musste. In Deutschland warteten eine Menge Menschen auf mich, die mir etwas bedeuteten: meine Freunde, meine Familie, Sam. Nein, ihn strich ich. Wer nur wenige Tage nach unserer Trennung Arm in Arm mit einer anderen Frau durch die Fußgängerzone lief, hatte einen Platz in meinen Gedanken definitiv nicht verdient. Ich fing mit meiner Aufzählung noch einmal von vorn an: meine Freunde, meine Familie, einige Kollegen, Helgas Baby. Der Geburtstermin war für Anfang Januar angesetzt. Es würde ein kleiner Steinbock werden. Ja, auf mein Patenkind freute ich mich.
    Eine Hand griff an meinen Po. Ich schrie auf und fuhr herum. Harry schnaubte und sprang erschrocken einen Satz zurück.
    David stand grinsend hinter mir. „Hab’ ich dich erschreckt?“
    Ich starrte ihn an. „Ja. Ich bin es nicht gewohnt, dass plötzlich eine fremde Hand an meinen Hintern klatscht.“
    David zog mich in seinen Arm und küsste mich auf den Mund. „Können wir los? Wir haben heute noch viel vor.“
    „So, was denn?“, fragte ich und löste mich aus seiner Umarmung.
    „Wir fahren zur Klosterruine Clonmacnoise. Hast du schon einmal davon gehört?“
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Sie liegt direkt am Shannon, ganz in der Nähe von Athlone, und ist eine der Haupttouristenattraktionen auf der Insel.“
    Dunkle Wolken hatten die Sonnenstrahlen vom Morgen vertrieben. Bei diesem Wetter konnte ich mir Schöneres vorstellen, als durch eine zugige Klosterruine zu marschieren. Mir hätte es vollkommen genügt, mich mit David in einen kleinen, gemütlichen Pub zu setzen. Kaum fuhren wir los, fing es auch schon an zu regnen. Dicke Tropfen klatschten gegen die Windschutzscheibe und der Weg vor uns verschwand hinter einem fließenden Schleier. David stellte die Scheibenwischanlage auf die höchste Stufe. Ich blickte ihn von der Seite an, um festzustellen, ob er irgendwelche Anstalten machte, das Ziel unserer Reise zu überdenken, doch er pfiff fröhlich vor sich hin und schien sich über das miese Wetter keinerlei Gedanken zu machen. Müde lehnte ich meinen Kopf gegen die Scheibe und betrachtete die vorbeiziehende Landschaft. Je mehr wir uns der Klosterruine näherten, desto karger wurde die Natur. Der sattbraune Boden erinnerte mich an Blumenerde und war mit einem stachligen, flechtenartigen Kraut bedeckt, Cottages standen einsam am Wegesrand. Nur die weihnachtlich geschmückten Kränze an den Türen oder Rauch, der gelegentlich aus den Schornsteinen quoll, zeigte, dass die Menschen diese unwirtliche Moorlandschaft nicht verlassen hatten. David legte die Hand auf mein Knie. „Worüber denkst du nach?“
    „Über nichts Bestimmtes“, antwortete ich und drückte seine Hand.
    An der Infotafel von Clonmacnoise erfuhren wir, dass der Eintritt in die Klosteranlage an jedem zweiten Samstag im Monat umsonst war. Ganze sechs Euro pro Person gespart. Das musste ich unbedingt Milla erzählen, die aus Wut über unsere Mietwagenpleite immer noch fleißig Buch über unsere Ersparnisse führte.
    Durch das Besuchercenter liefen David und ich zu den Steinkreuzen, die in unzähligen Reihen dicht nebeneinanderstanden und mich um das Doppelte meiner Körperlänge überragten.
    „Meine Güte, liegen hier lauter Könige begraben?“, wunderte ich mich. „Ein einfacher Bauer wird kaum eine so bombastische Begräbnisstätte bekommen.“
    David lachte. „Dort ist überhaupt niemand begraben. Diese Hochkreuze sind in Irland Symbole für die Christenheit. Der Klosterfriedhof befindet sich dort drüben.“ Er zeigte in Richtung des Shannons, dessen tobende Wassermassen so weit über die Ufer getreten waren, dass sie bis an die Mauern der Klosteranlage reichten. Glücklicherweise hatte der Regen mittlerweile nachgelassen und die Sonne lugte hinter den Wolken hervor. Aber der Wind wehte immer noch heftig und machte aus der Grasfläche vor uns einen wabernden Teppich, der keinen Augenblick stillzustehen schien. Ich zog mir die Kapuze meines pinkfarbenen Anoraks über und stellte einmal mehr fest, dass ich einfach kein Wintermensch war.
    „Was bist du nur für eine Frostbeule“, sagte David. Er nahm mich unter seine dicke Jacke und zog mich eng an sich. „Besser so?“
    Ich nickte. Es war tatsächlich viel wärmer und ich ließ meinen Kopf gegen seine Schulter sinken. Er roch gut, nach irgendeinem herben After Shave, vielleicht Paco Rabanne. Und für einen

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