Zeit für mich und Zeit für dich
glaubte ich das.
Auf Dauer konnte ich es nämlich nicht durchhalten, und langsam wurde alles wieder so wie vorher. Wir spürten es beide. Erst wollte sie es nicht wahrhaben, aber schließlich hat sie mich doch wieder verlassen.
Als wir uns an jenem Tag im Türrahmen Lebewohl sagten, sah sie mich mit Tränen in den Augen an:
»Ich gebe dir keine Schuld, Lorenzo, du bist einfach so. Es war mein Fehler. Ich dachte, durch mich könntest du lernen zu lieben. Aber du schaffst es immer nur für kurze Zeit. Du passt dich an, das ist deine Art zu lieben. [95] Du überlegst dir, wie du deine Gefühle zeigen kannst, was du tun, auf was du verzichten kannst. Dabei denkst du, dein Verhalten sei ein Beweis deiner Liebe. Worauf der andere verzichtet, nimmst du überhaupt nicht wahr. Du glaubst, es wäre leicht, mit dir zusammenzuleben, weil du nicht störst, nie um Hilfe bittest, nie wütend wirst und nie streitest. Aber ich sage dir: Es ist sehr anstrengend, an deiner Seite zu leben. Wenn du wüsstest, wie viele Grübeleien, wie viel Geduld, Enttäuschung und Tränen es mich gekostet hat. Ich habe dir nichts davon gesagt, denn ich wollte dir nicht weh tun. Außerdem lernt man an deiner Seite, nichts mehr zu sagen, weil man die Antworten eh schon kennt: ›Wenn es so anstrengend ist, mit mir zu leben, warum gehst du dann nicht?‹ Du erstickst alle Gefühle, darum wirst du nicht wütend. Nicht weil du besonders ausgeglichen wärst, sondern weil du alle Gefühle erstickst: weg mit der Liebe, weg mit der Wut. Du vergräbst dich in deiner Arbeit. Ich weiß, dein Job ist wichtig, aber bei uns beiden war er immer auch der Vorwand für ein Nein. Kein gemeinsames Abendessen, kein Kinobesuch, kein Konzert, keine Spaziergänge, all die im letzten Moment abgesagten Wochenenden zu zweit… alles geplatzt, aufgegeben, verpasst. So als wärst du der Einzige auf Erden, der arbeitet. Du bist so mit dir selbst beschäftigt, dass du überhaupt nicht merkst, was ein Mensch an deiner Seite mitmacht. So wie jetzt: Ich bin dabei, dich zu verlassen, diesmal für immer, und du sagst nichts, als würde dich das alles nicht im Geringsten berühren. Sag mir, dass ich egoistisch bin, eine blöde Kuh, die dich verlässt, [96] anstatt dich so zu akzeptieren, wie du bist. Schrei mich an, werd wütend, mach irgendwas, aber steh nicht bloß da wie ein begossener Pudel…«
Sie blieb im Türrahmen stehen und sah mich mit feuchtglänzenden Augen an.
Sie flehte mich an, sie nicht gehen zu lassen. Das war es, was sie von mir wollte. Doch alles, was ich rausbrachte, war: »Was soll ich sagen? Du hast recht, ich kann dich verstehen.«
Sie sah mich zutiefst enttäuscht an und zischte leise: »Ach, leck mich doch.«
Und dann ging sie.
[97] Allein auf der Welt
Eines Tages nach seiner Rückkehr von einem Wochenende in Florenz vertraute Roberto mir an, er habe sich in ein Mädchen verliebt, das er zufällig dort kennengelernt hatte, eine Maria aus Barcelona. Drei Tage später kam sie zu Besuch.
Einen Monat nach Marias Abreise verkündete Roberto mir seinen Entschluss, er wolle nach Barcelona ziehen und mit ihr zusammenleben.
»Ich möchte eine Familie gründen und viele Kinder haben, und zwar mit ihr. Solche Türen schließen sich schnell wieder, wenn ich diese Gelegenheit nicht nutze, verpasse ich eine wunderbare Chance. Ich liebe sie.«
»Na, wenn sie die Frau deines Lebens ist, wird sie das doch auch noch in einem Jahr sein, oder?«
»Ich weiß nicht, ich glaube eher, dass man sich in gewissen Augenblicken auf etwas einlassen sollte und in anderen etwas abstreifen kann. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Maria und mich, das spüre ich.«
»Du gehst also nicht nur eine Zeitlang nach Barcelona, sondern mit der Absicht, dort für immer zu bleiben?«
»Keine Ahnung, vielleicht geht’s ja auch schief, aber ich muss es ausprobieren. Ich folge meinem Gefühl.«
Er packte drei große Koffer mit seinen Sachen voll und [98] verschenkte den Rest an seine Freunde. Mir hat er seine Platten und Bücher vermacht.
Ohne Lucia und Roberto war es noch härter. Nach dem Abendessen ging ich immer gleich in mein Zimmer. Ich lag auf dem Bett, starrte an die Decke, setzte die Kopfhörer auf und hörte ein bisschen Musik, vor allem Pink Floyd.
Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich mehr verdienen und meine Familie unterstützen konnte. Ich hätte abends noch in einer anderen Bar, einer Disko oder Pizzeria kellnern können, aber das hätte sich kaum gelohnt, das bisschen
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