Zeit für mich und Zeit für dich
schlafen, dass ich befürchtete, unser erstes Mal wäre nach drei Sekunden vorüber.
Samstagnachmittag vor dem Duschen gab ich meiner kleinen Rakete Zunder, aber ich dachte dabei nicht an sie. Das wäre mir irgendwie hässlich vorgekommen, ich wollte das, was zwischen uns war, nicht besudeln. Obwohl ich Champagner nicht mochte, hatte ich heimlich eine Flasche aus der Bar mitgehen lassen. Alles sollte sein wie im Film. Gemeinsam bezogen wir das Bett frisch. Keiner sagte ein Wort. Wir waren beide verlegen. Es ist seltsam, gemeinsam ein Bett zu beziehen, wenn man genau weiß, wofür. Wir setzten uns auf das Sofa und plauderten ein wenig, leise, weil ich Angst hatte, meine Eltern könnten uns hören. Wir tranken den Champagner, küssten und berührten uns ein bisschen. Ich hatte Musik aufgelegt. »Die richtige Musik ist wichtig«, hatte Roberto gesagt. Als Tipps hatte er mir ein paar LP s auf das Schränkchen gelegt: Sam Cooke, Stevie Wonder, Marvin Gaye, Commodores, Roxy Music.
Wir machten es. Zum allerersten Mal. Dreimal. Es [86] fühlte sich an, als hätte ich ein Leben lang darauf gewartet, mit ihr zu schlafen. Vielleicht war es ja auch so.
Ich war unendlich verliebt. Sie war meine erste Freundin, und ich war ihr erster Freund. Ich fühlte mich mächtig wie ein Gott. Zum ersten Mal kostete ich den verführerischen Geschmack des Zugehörigseins. Sie war mein Mädchen, und ich gehörte ihr, mit Haut und Haar.
Am nächsten Morgen war die Welt nicht mehr nur ungerecht und grausam. Plötzlich konnte mir all das, was mir sonst so gegen den Strich ging, nichts mehr anhaben. ›Wen juckt’s‹, dachte ich. ›Bald seh ich sie wieder, und dann spielt alles andere keine Rolle mehr.‹ Ich zeigte der ganzen Welt einen riesigen Stinkefinger. Mit Lucia ging es mir gut. Wir gingen spazieren, unterhielten uns, liebten uns. Stundenlang lagen wir engumschlungen im Bett und schrieben Versprechen für die Ewigkeit an die Decke.
Morgens schrieb ich »Ich liebe dich« auf die Papierservietten in ihrer Croissant-Tüte, oder ich packte eine kleine Blume oder eine Praline mit hinein. Mit jedem Tag liebte ich sie mehr und wunderte mich, wie das überhaupt möglich war. Keiner aus dem Büro wusste, dass wir zusammen waren. Sie war für mich das Stückchen Welt, das losgelöst von allem und allen existierte, auch von meiner Familie. Just das Stückchen Welt, das ich mir immer für mich gewünscht hatte. Weil ich losgelöst von meinem Alltag einfach ein besserer Mensch war.
Einmal musste ich ziemlich lang vor ihrem Haus auf sie warten. Als sie endlich kam und zu mir ins Auto stieg, bemerkte ich sofort, dass sie geweint hatte.
[87] »Was ist los?«
»Ach, nichts. Fahr einfach los.«
Aber ich bohrte nach, und schließlich erzählte sie, dass ihre Mutter nicht wollte, dass sie mit mir ausging, weil ich in einer Bar arbeitete, weil ich nicht studiert hatte. Schlagartig erwachte ich aus meinem Traum. Ich sah an mir herab, und plötzlich wuchs mir eine Schürze.
Die Mutter hatte panische Angst davor, ihre Tochter könne an der Kasse einer Bar enden, darum hatte sie beschlossen, mich mit allen Mitteln zu bekämpfen. Ich durfte Lucia nicht mehr anrufen und sie mich auch nicht. Damals hatte das Telefon noch eine Wählscheibe, und ihre Mutter hatte sie mit einem Schloss gesperrt, genauso wie wir das in der Bar machten. Sobald ich Lucia nach Hause gebracht hatte, gab es keine Möglichkeit mehr, mit ihr zu kommunizieren. Wenn ich sie abholte, musste ich nun immer warten, und ich malte mir aus, wie sie sich gerade mit ihrer Mutter stritt.
»Soll ich vielleicht mal mit ihr reden? Dann sieht sie, dass ich ganz in Ordnung bin, und beruhigt sich vielleicht wieder. Ich stehe morgens um sechs auf und arbeite den ganzen Tag. Ich bin anständig.«
»Es ist zwecklos. Letzte Woche habe ich ihr einen Brief geschrieben, aber sie hat ihn zerrissen und gesagt, ich würde sie nicht von ihrer Meinung abbringen.«
Lucia hatte eine jüngere Schwester, die mit einem Jungen aus bestem Hause verlobt war: Der Vater des Jungen besaß eine Fabrik für Metallverarbeitung. So eine Beziehung hieß die Mutter gut. Während die jüngere Schwester in den frühen Morgenstunden heimkommen [88] durfte, wurde Lucia angeschrien, wenn sie unter der Woche um Mitternacht nach Hause kam.
Eines Sonntags, als wir zusammen in meinem Zimmer waren, rief Lucias Mutter an und sagte, die Schwester und ihr Verlobter würden zu einer Party in den Rotary-Club gehen, Lucia solle sie
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