Zeit für mich und Zeit für dich
eintauschen.
Nicht mehr mit der Frau zusammen zu sein, mit der du gern zusammen wärst, bedeutet, dass du nachts im Dunkeln die Hand ausstreckst und nach ihr suchst. Dass du die ersten Tage morgens aufwachst, auf ihre Seite des Bettes schaust, dir die Augen reibst und hoffst, die Schlaftrunkenheit spiele dir einen Streich. Dass auf dem Herd eine Kaffeepfütze steht, weil du vergessen hast, die Flamme abzustellen. Dass du zweimal Salz ins Nudelwasser gibst. Oder gar keins. Es bedeutet, dass sich Wiederholungen häufen: von Dingen, die du tust, Gedanken, die du denkst. In dem Buch, das du gerade liest, blätterst du immer wieder zurück, weil die Worte [22] nicht hängenbleiben, und bis du es merkst, hast du schon den Faden verloren. Und bei der DVD, die du dir anschaust, drückst du immer wieder REWIND , weil du die Handlung nicht kapiert hast.
Es bedeutet, dass du mehr zurückschaust als nach vorn. Eine Reise, bei der du nicht am Bug stehst, sondern am Heck.
Nicht mehr mit der Person zusammen zu sein, mit der du gern zusammen wärst, bedeutet, dass niemand da ist, bei dem du dich beim Nachhausekommen über deinen Tag beklagen kannst. Dass der Müllsack tagelang an der Wohnungstür stehen bleibt. Dass das Klopapier im Bad auf dem Boden oder auf dem Heizkörper liegt, aber nie da, wo es hingehört. Dass die Laken nicht mehr duften wie früher. Ich erinnere mich noch an den Geruch ihrer Laken in einer der ersten Nächte, die ich bei ihr verbrachte. In meine Wohnung zog dieser Duft ein, als es unsere gemeinsame Wohnung wurde. Jetzt ist es wieder meine Wohnung, und mit ihr haben auch alle Wohlgerüche meine Wohnung wieder verlassen. Selbst die Stille ist nicht mehr die gleiche, seit sie fort ist. Wir haben oft geschwiegen, das Schöne an unserer Beziehung war ja, dass wir uns beide nicht verpflichtet fühlten, den anderen zu unterhalten. Mit ihr war die Stille schön, rund, weich und freundlich. Jetzt ist sie störend, abweisend und zu lang. Ehrlich gesagt ist sie mir zu laut. Ich mag sie nicht.
Bevor ich sie kennenlernte, hatte ich klare Vorstellungen von meiner Person. Sie hat versucht, mir zu zeigen, dass es falsche Vorstellungen sind, und ich habe lange [23] gebraucht, um es einzusehen. Zu lang: Als ich endlich so weit war, war sie schon fort.
Sie fehlt mir. Noch nie habe ich jemanden so geliebt wie sie. Jetzt, da ich viele Dinge verstanden habe und ein anderer geworden bin, kann ich mit keiner anderen Frau mehr zusammen sein. Ich rassle nicht mehr in ungewollte Situationen hinein, so wie früher.
Manchmal habe ich seitdem mit anderen Frauen geschlafen, aber nur mit solchen, die keine Spuren in mir hinterlassen. Mit einer lag ich sogar schon nackt im Bett, als mir plötzlich bewusst wurde, dass der Geruch ihrer Haut nicht der war, in den ich immer noch verliebt war. Ich fühlte mich so unwohl, dass ich mich wieder anzog, mich entschuldigte und ging.
Manche Beziehungen halten Jahre, und in dieser Zeit kann man sich manchmal ver- und wieder entlieben. Manche Paare hören auf, sich zu lieben, bleiben aber trotzdem zusammen. Andere beschließen sich zu trennen, brauchen aber Zeit dafür. Erst wollen sie ergründen, ob sie sich wirklich sicher sind, ob es nicht nur eine Krise ist, die vorübergeht. Wenn sie schließlich überzeugt sind, dass es wirklich vorbei ist, müssen sie noch die Art und Weise sowie die Worte finden, die am besten geeignet sind, den Schmerz ein wenig zu lindern. Manche brauchen dazu Monate oder gar Jahre. Einige vergeuden ihr ganzes Leben damit, ohne den Schritt jemals zu tun. Viele können nicht loslassen, weil sie nicht wissen, wohin sie gehen sollen, oder weil sie den Gedanken nicht ertragen, dass sie für den Schmerz des anderen verantwortlich sind – für den tiefen, heftigen Schmerz, den man [24] empfindet, wenn man sich sehr nahe war, weshalb man ihn lieber Tag für Tag in kleinen Dosen verabreicht.
Und so dauern diese Beziehungen immer weiter fort, selbst wenn derjenige, der verlassen werden soll, das längst weiß. Aber lieber tut er so, als wäre alles in Ordnung. Wenn keiner von beiden in der Lage ist, den Dingen ins Gesicht zu sehen, wird die Situation verfahren. Ihrer beider Unfähigkeit macht sie ohnmächtig. Also lassen sie sich Zeit. Vergeuden Zeit. Schöpfen die Zeit bis zum Letzten aus.
Derjenige, der verlassen werden soll, wird meist zugänglicher, anschmiegsamer, nachgiebiger. Er oder sie versteht nicht, dass er die Situation dadurch nur noch schlimmer macht, denn
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