Zeit für mich und Zeit für dich
prompt aus der Bahn warf. Ich selbst hätte vorher nicht gedacht, dass es mich so umhauen würde. Vielleicht hätte ich damit rechnen müssen, aber irgendwie hatte ich es trotzdem nicht erwartet.
[28] Wenigstens habe ich es von ihm erfahren und nicht von jemand anders.
Nicola und Giulia, meine Nachbarin, sind die Freunde, die ich zurzeit am häufigsten sehe. So oft, dass wir am Telefon oder an der Gegensprechanlage nie unseren Namen sagen, sondern nur: »Ich bin’s.«
Mit Giulia bin ich noch nicht so lange befreundet wie mit Nicola, aber in bestimmten Stimmungslagen harmoniere ich mit ihr besser. Manchmal brauche ich so etwas wie ein zweites Instrument, auf das ich mich einstimme, und das geht nur mit Frauen. Oft suche ich die richtige Stimmung allein, in der Stille meiner Wohnung, wie ein Musiker eben, aber manchmal brauche ich einen anderen, der mir einen Ton vorgibt. Giulia gelingt es immer, mir den richtigen Ton vorzugeben. Dafür besitzt Nicola die Gabe, durch einen dummen Spruch alles zu entdramatisieren und mich mit einem Satz oder einer Geste wiederaufzurichten. Darin ist er unvergleichlich. Ich bin froh, solche Freunde zu haben.
Giulia kommt abends oft zu mir rüber. Ich rufe sie an, und wenn sie noch nicht gegessen hat, lade ich sie zu mir ein. Es ist zwar auch schön, für sich selbst zu kochen, aber richtig Spaß macht es nur, wenn man für andere kocht. Außerdem sind Rezepte für zwei nicht nur leckerer, ich kann sie mir auch besser merken. Manchmal lädt sie mich auch zu sich ein. Dann bekomme ich auf der Arbeit eine Nachricht aufs Handy: Heute Abend Reis und Gemüse bei mir?
Wir sind einfach nur Freunde, zwischen uns läuft gar nichts. Das mag daran liegen, dass meine Sie mich gerade [29] erst verlassen hatte, als wir uns kennenlernten, und Giulia gerade dabei war, sich von ihrem Mann zu trennen. Es war kein Platz in unserem Leben… höchstens für eine schnelle Nummer, aber bestimmt nicht mit der Nachbarin. Die Versuchung ging also an uns vorüber. Außerdem kann man sehr wohl bei einem Menschen eine gewisse Anziehung, auch sexueller Art, wahrnehmen, ohne unbedingt gleich zur Tat zu schreiten.
Als ich Giulia das erste Mal zum Essen einlud, ging ich zu ihr rüber und klopfte an ihre Tür. »Ich geleite dich zu mir. Ich bin altmodisch, musst du wissen.«
Sie lachte, und weil sie noch nicht fertig war, bat sie mich herein. Ich schaute mich um: eine echte Frauenwohnung, sauber und aufgeräumt.
Später am Abend begleitete ich sie in ihre Wohnung zurück. »Um die Uhrzeit solltest du wirklich nicht allein nach Hause gehen.«
Keinen Monat nach unserem ersten gemeinsamen Abendessen hatte ich bereits den Schlüssel zu ihrer Wohnung und sie den zu meiner. An einen der ersten Abende mit Giulia erinnere ich mich noch, als wäre es gestern gewesen, weil ich mir vorkam wie in einem Tarantino-Film.
Ich hatte ihr tagsüber eine SMS geschickt: Fisch? Nach wenigen Sekunden kam die Antwort:
Okay, muss aber frisch sein, vertrag ich sonst nicht, erklär ich dir später.
Lieber Fischstäbchen? Im Ernst, soll ich was anderes kochen?
Nein, Fisch ist okay. Muss nur frisch sein.
Werde auf dem Nachhauseweg einen angeln gehen.
[30] Okay, dann Fisch um neun. Nach der Arbeit dusch ich kurz und komm dann rüber.
Ich hol dich ab, wie immer. Bis später.
Gegen halb neun hörte ich sie nach Hause kommen und ging dann um neun rüber, um sie abzuholen. In der Küche war soweit schon alles fertig: Salat, Basmatireis und im Ofen eine Dorade mit Kartoffeln und Cherrytomaten.
Wir entkorkten den Wein. Es gab zwar Fisch, doch wir wollten Rotwein trinken, also machte ich eine Flasche Montecucco auf.
»Ich muss dir was sagen, aber erschrick nicht«, sagte sie und holte ein kleines, gelbes Röhrchen mit einer Nadel obendrauf hervor, eine Art Spritze. »Wenn wir den Fisch essen und dir auffällt, dass ich irgendwie komisch oder undeutlich rede, oder wenn du merkst, dass es mir nicht gutgeht, musst du diese Kappe abmachen und mir das hier spritzen. Ist Adrenalin drin.«
»Spinnst du? Das soll wohl ein Witz sein!«
»Gar nicht. Es ist nur so, dass ich eine Histaminintoleranz habe, und Fisch, der nicht ganz frisch ist, enthält davon jede Menge. Macht aber nichts, falls es mir wirklich schlechtgehen sollte, brauchst du mir nur das hier zu spritzen.«
»Warum hast du das denn nicht eher gesagt? Dann hätte ich Pasta gemacht oder Hühnerbrust…«
»Weil ich gern ab und zu Fisch esse. Sogar Sushi esse ich manchmal. Ich
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