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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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Blutspuren festzustellen. Außerdem wurde die Tatsache ausgelassen, dass Phenolphthalein bestimmte Basen und Säuren – darunter auch Hämoglobin – sofort in ein Rosarot verwandelt. Dreißig Sekunden danach bekommt alles, was mit Phenolphthalein in Berührung kommt – jede Wand, jede Bodenfliese, jeder Gegenstand, jedes Handtuch –, diesen grellen Farbton. Die Polizei hatte die Fotos vom Bad herausgegeben in dem Wissen, dass die meisten noch nie von der Chemikalie gehört hatten und das Rot natürlich für Blut halten würden.
    Die Fotos des von Chemikalien besudelten Badezimmers hatten wahrscheinlich genau das zur Folge, was die Polizei wollte.
    Die öffentliche Reaktion bewies, dass ein Bild – vor allem ein »blutiges« Foto von einem Tatort – mehr aussagt als hunderttausend Worte. Mindestens. Ich wusste, was die Leute dachten. Wer außer einer messerschwingenden Mörderin würde in einem »blutverschmierten« Bad duschen? Wer außer einer Lügnerin würde sagen, es seien nur ein paar Blutspritzer vorhanden gewesen? Die Antwort? Foxy Knoxy .
    Die Fotos vom Bad wurden zusammen mit Bildern von Merediths Zimmer herausgegeben, bevor und nachdem ihre Leiche entfernt worden war. Es gab Fotos vom blutigen Fußabdruck, der noch immer Raffaele zugeschrieben wurde, obwohl seine Familie bewiesen hatte, dass er nicht von ihm stammen konnte. Eine fast vollständige Ansicht des Raums von der Tür aus lag vor, auf einem anderen Foto war Merediths nackter Fuß zu sehen, der unter ihrer Daunendecke hervorschaute. Nahaufnahmen zeigten die enorme Blutmenge, die Meredith verloren hatte, an der sie erstickt war. Als ich das sah, musste ich weinen. Sie muss solche Angst gehabt haben .
    Die Öffentlichkeit hat für gewöhnlich nicht das Recht, die Dokumentation der Staatsanwaltschaft zu sehen, bevor die Verteidigung Einblick in die Akten hat. Aber die Fotos waren raus, und es bestand keine Möglichkeit, die Wirkung abzuschwächen. Luciano zufolge war es ein weiterer Versuch der Staatsanwaltschaft, die Gunst der Öffentlichkeit zu gewinnen.
    Meine Anwälte legten bei den Richtern Beschwerde ein, dass die Staatsanwaltschaft die Medien zu unserem Nachteil benutze, doch der Richter sagte, ganz gleich, was in der Presse berichtet werde, man würde es nicht gegen uns verwenden. Der Informationsfluss zwischen Staatsanwaltschaft und den Medien war üblich, wurde aber nicht zugegeben.

    Mein Fußballspiel als Teenager in einer Spitzenmannschaft hatte mich gelehrt, dass ich größtmögliche Ausdauer, Durchhaltevermögen und Beharrlichkeit brauchte, um die Staatsanwaltschaft zu schlagen. Ich begann, mich als Teil einer Mannschaft zu sehen, angeführt von meinen Anwälten. Ich musste ihnen zum Erfolg verhelfen und griff auf die letzten Kraftreserven zurück, die mir noch geblieben waren, um mich durch den emotionalen Schmerz zu kämpfen. Als ich siebzehn war, spielte ich einen Monat lang mit einem angebrochenen Fuß, bevor ich es meinem Trainer gegenüber zugab. So fühlte ich mich jetzt auch – entschlossen, aber verwundbar.
    Das Nichtwahrhabenwollen, die Angst und Verblüffung, die ich zu Anfang verspürt hatte, waren in stille Empörung und Trotz übergegangen. Am Ende nahm ich hin, dass ich in Capanne meine einzige Freundin war. Bei jedem Besuch klammerte ich mich an meinen Vater. Ansonsten benutzte ich das einzige Hilfsmittel, das ich kannte. Ich zog mich in meine Gedankenwelt zurück.
    Wenn man keine Kontrolle über sein Leben hat, besteht die natürliche Reaktion darin, an etwas festzuhalten, das einem zumindest das Gefühl vermittelt, Herr über sich selbst zu sein. Im Gefängnis ist der eigene Körper das Einzige, worüber man bestimmen kann. Man kann ihn überstrapazieren. Man kann ihn verletzen. Man kann zu viel essen. Man kann hungern. Man kann entscheiden, was hineingeht und was draußen bleibt. Ich weigerte mich, Antidepressiva und Beruhigungsmittel über meine Lippen zu lassen. Und Wörter.
    Nach fast fünf Monaten in Capanne waren meine Familie und Don Saulo die Einzigen, mit denen ich in regelmäßigen Abständen sprach. Ansonsten antwortete ich nur, wenn ich gefragt wurde. Ich stellte keine Fragen. Ich gab keinen Kommentar ab. Mein wirkliches Leben zu Hause war meine Zuflucht. Ich wollte es nicht mit diesem elenden, unechten Leben vermischen, das ich hinter Gittern verbrachte.
    Cera übte durch das Saubermachen Kontrolle aus. Als ich einzog, gefiel mir ihre tadellose Zelle. Ich begriff erst, dass sie davon besessen war,

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