Zeit, gehört zu werden (German Edition)
Hochgefühl hielt keine vierundzwanzig Stunden an. Am nächsten Morgen gab die Staatsanwaltschaft bekannt, es gebe neue »Beweise«. Der Mörder habe Merediths BH aufgeschnitten und dabei ein kleines Stück Stoff abgerissen, an dem sich ein Teil des Verschlusses befand. An dem Häkchen sei Raffaeles DNA.
»Das kann nicht sein!«, sagte ich laut. »Das ist unmöglich.«
»Ich bin mir sicher, dass die Polizei ihre Verlautbarung über den BH-Verschluss zeitlich so gelegt hat, um die Öffentlichkeit nach der Sendung wieder auf ihre Seite zu ziehen«, sagte Luciano. »Das ist kein Zufall. Raffaeles Anwälte haben einen schrecklichen Fehler begangen, als sie es zuerst durch die Presse laufen ließen, statt ihre Erkenntnisse direkt ans Gericht zu geben.«
Mir war klar, dass dieses »Beweismaterial« uns schaden könnte. Ich wusste allerdings auch, dass Raffaele ebenso wenig mit Merediths Büstenhalter in Berührung gekommen war, wie Meredith mit einem Messer aus Raffaeles Wohnung. Beides konnte nicht wahr sein, doch die Staatsanwaltschaft würde die beiden falschen Indizienbeweise benutzen, um uns mit dem Verbrechen in Verbindung zu bringen.
»Raffaeles DNA muss irgendwie auf den Verschluss übertragen worden sein«, sagte Carlo. »Haben Sie jemals Merediths Kleidung getragen oder eine Waschmaschine zusammen benutzt?«
»Ich habe mir Strumpfhosen und ein T-Shirt ausgeliehen, aber niemals ihren BH«, antwortete ich. »Und wir haben unsere Sachen getrennt gewaschen. Allerdings haben wir sie Seite an Seite am selben Ständer getrocknet. Meinen Sie, das könnte es sein?«
Am 18. Dezember, sechsundvierzig Tage, nachdem die polizia scientifica zum ersten Mal die Villa nach Beweismaterial durchsucht hatte, kamen die Forensiker aus Rom wieder in die Via della Pergola 7.
Luciano und einer von Raffaeles Anwälten sahen eine Liveübertragung der Durchsuchung von einem vor der Villa geparkten Van aus. Die Ermittler trugen weiße Anzüge, Schuhüberzieher und Handschuhe, um den Tatort nicht zu verunreinigen. Doch dafür war es zu spät. Die squadra mobile, das Sondereinsatzkommando, hatte das Haus bereits durchsucht und war von einem Zimmer ins andere getrampelt. Während sie nach Merediths Kreditkarten, Schlüsseln und anderen, nicht forensischen Hinweisen suchten, hatten sie Merediths Matratze in die Küche gezerrt. Die aus den Angeln gehobenen Schranktüren lagen auf dem Boden. Ihre Kleidung lag aufgehäuft auf dem Boden. Die Forensiker fanden den BH-Verschluss unter einem aufgerollten Teppich, unter einer Socke.
Ich hatte mit dem Verschluss nichts zu tun, doch ich wusste, die Staatsanwaltschaft würde niemals glauben, dass Raffaele ohne mein Zutun gehandelt hatte. Sie würde behaupten, ich hätte ihm Zutritt zur Villa verschafft. Ich war der Grund, warum er Meredith begegnete. Wir waren unser gegenseitiges Alibi. Falls sie nachweisen konnte, dass Raffaele direkt mit dem Verbrechen zu tun hatte, würde ich mindestens als seine Komplizin angeklagt.
Der Verschluss war nicht die einzige belastende Nachricht, die an dem Tag von der Staatsanwaltschaft an die Presse weitergegeben wurde. »Kriminaltechnik bringt italienische Polizei auf blutige Fußspuren in Foxy Knoxys Zimmer«, schrieb die Daily Mail in London. Der Artikel zitierte Edgardo Giobbi, einen polizeilichen Ermittler, der sagte: »Das ist ein wesentlicher Fund und sehr wichtig.«
Luciano teilte mir die Tiefpunkte mit. »Es heißt, Ihre Füße seien ›mit Blut besudelt‹ gewesen – Sie hätten Blut verteilt, während Sie versuchten, es aufzuwischen.«
Die Forensiker verwendeten Luminol, eine Chemikalie, die selbst auf geringen Mengen Hämoglobin blau schimmert. Damit wurden Fußspuren im Flur vor dem Bad und eine in meinem Zimmer sichtbar gemacht.
»Wie können die behaupten, ich hätte Merediths Blut unter den Füßen gehabt?«, fragte ich.
»Bitte, machen Sie sich keine Sorgen, Amanda«, sagte Carlo und sah mich mitfühlend an. »Ich bin mir sicher, dass die Sache nicht ganz so einfach und eindeutig ist, wie die Presse sie darstellt. Wir haben bereits mit unseren Experten gesprochen, und die sagen, es kann sein, dass Sie in den Blutfleck auf der Badematte getreten sind und dann eine Spur über den Flur gezogen haben. Das dürfte reichen. Und Luminol macht nicht nur Blut sichtbar. Es reagiert genauso auf Putzmittel, Erde, Saft und Rost aus dem Wasserhahn – auf alles, was Eisen oder Peroxide enthält. Um sicher zu sein, was sie vor sich haben, müssen Forensiker
Weitere Kostenlose Bücher