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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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die Staatsanwaltschaft will. So machen sie es dir unmöglich, dich zu verteidigen.«
    Luciano und Carlo kamen mich am nächsten Tag besuchen. Sie versicherten mir, niemand würde Guede Glauben schenken, nicht einmal die Staatsanwaltschaft. »Er ist weggelaufen, er ist ein Lügner, ein Dieb, ein Frauenschänder und ein Mörder«, sagte Carlo. »Niemand könnte ihn je als verlässlichen Zeugen betrachten, denn wenn er Sie beschuldigt, ist es nur zu seinem Vorteil. Die Staatsanwaltschaft bauscht die Sache auf, weil Sie dadurch belastet werden.«
    »Bitte, Amanda«, sagte Luciano. »Machen Sie sich keine Sorgen. Sie müssen stark bleiben.«
    Ich war untröstlich. Mit Guedes Aussage gegen mich bestand absolut keine Chance, dass ein Richter mich aus dem Gefängnis entlassen würde.
    Anfang April kam Carlo mich besuchen. Seine Miene verriet seine Sorge. »Amanda«, sagte er. »Die Staatsanwaltschaft sagt jetzt, es liegen Beweise für eine gründliche Reinigung vor. Sie argumentieren, deshalb gebe es keine Beweise dafür, dass Sie und Raffaele in Merediths Zimmer waren – weil Sie Ihre Spuren am Tatort weggewischt haben.«
    »Das ist die haarsträubendste Argumentation, die ich je gehört habe!«, kreischte ich.
    »Amanda, die Ermittler stehen vor einem Rätsel«, sagte Carlo. »Sie fanden so viel DNA von Guede in Merediths Zimmer, an und in ihrem Körper. Aber der einzige forensische Beweis, den sie von Ihnen haben, ist außerhalb des Zimmers. Raffaeles DNA befindet sich nur am BH-Verschluss. Wenn Sie und Raffaele an dem Mord beteiligt waren, sollte Ihre DNA so leicht zu finden sein wie die von Guede.«
    »Aber Carlo, kein Beweis heißt doch nicht, dass wir sauber gemacht haben. Das heißt, wir waren nicht dort!«
    »Ich weiß.« Carlo seufzte. »Aber sie haben sich schon darauf versteift, dass Sie und Raffaele einen Einbruch vorgetäuscht haben, um alles Guede anzuhängen. Die fügen der Geschichte nur ein weiteres Bindeglied hinzu. Nur so kann die Staatsanwaltschaft Sie und Raffaele mit einbeziehen, wenn die Beweismittel auf einen Einbruch und Mord durch Guede hindeuten.«

    Richterin Matteini schickte mir ihren Beschluss zum Hausarrest am 16. Mai: »Abgelehnt«. Inzwischen hatte die Polizei so viel gegen mich angehäuft, dass Guedes Zeugenaussage nicht einmal verwendet wurde. Obwohl ich das Land vor meiner Festnahme nicht verlassen hatte, war die Richterin sicher, dass meine Mutter mir bei der Flucht geholfen hätte, als sie am 6. November in Perugia eintraf. Deshalb, so sagte sie, habe die Polizei geplant, mich zu verhaften, bevor meine Mutter zu mir kommen konnte. Wie sich herausstellte, hatten sie ihren Reiseplan zur gleichen Zeit erhalten wie ich – sie hörten mein Telefon ab.
    In den letzten Zeilen ihres Schreibens beanstandete die Richterin, ich hätte kein Bedauern über Merediths Tod gezeigt.
    Als Carlo und Luciano es mir mitteilten, ging ich in Gedanken zurück zur questura am Morgen des 6. November. Nach Beendigung meiner Befragung war ich verstört und saß heulend im leeren Büro, zusammen mit der leitenden Vernehmerin Rita Ficarra. Mein Handy klingelte und vibrierte laut auf der Tischplatte, und ich bat Ficarra, den Anruf entgegennehmen zu dürfen. Ich war mir sicher, dass es meine Mutter war, und ich wusste, sie wäre krank vor Sorge, wenn ich mich nicht meldete.
    Dieser neue Informationsbrocken beschwor die ganze Verzweiflung, die widerliche Hilflosigkeit herauf, die ich an jenem Morgen empfand. Bei dem Gedanken daran konnte ich kaum atmen. Ich wusste noch, wie erleichtert ich gewesen war, dass sie herüberflog, wie sehr ich sie gebraucht hatte. Sobald sie sagte, sie werde nach Italien kommen, wurde mir klar, dass ich stur und dumm darauf beharrt hatte, ich könnte der Polizei auf eigene Faust helfen, Merediths Mörder zu finden.
    Man hatte mich hereingelegt.
    Dieser Betrug ging über meinen Verstand. Meine Mutter verzehrte sich vor Schuldgefühlen, weil sie nicht früher gekommen war. Als ich sie während ihrer Frühlingsferien sah, hatte sie zehn Kilo abgenommen. Sie weinte bei jedem Besuch.

    Nach jenem Bericht schien alles noch dunkler. Oft sprach ich mit Don Saulo darüber, wie eingeengt ich mich jetzt fühlte, da die Möglichkeit eines Hausarrests vom Tisch war. Vor lauter Wut, Enttäuschung und Traurigkeit konnte ich mich nicht aufs Lesen und auf die italienische Grammatik konzentrieren – nicht einmal darauf, Briefe nach Hause zu schreiben.
    Cera begann, mich darauf einzustimmen, dass mich

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