Zeit, gehört zu werden (German Edition)
als sie mich aufforderte, die Duschwände trockenzureiben, bevor ich mich abtrocknete, Flaschen mit Shampoo und Körperlotion in einer Reihe im gleichen Abstand voneinander auf die Ablage zu stellen, meine Bettlaken militärisch genau einzustecken, die Äpfel mit dem Stiel nach oben in die Obstschale zu legen und das Spülbecken in der Küche tunlichst nicht zu benutzen.
Ich gab mir die größte Mühe, mit Cera klarzukommen, half ihr bei ihren Hausaufgaben und putzte entweder mit ihr zusammen oder kam ihr gar nicht erst in die Quere. Nachdem sie den Boden fertiggewischt und getrocknet hatte, bestand meine Aufgabe darin, ein panno spugna – ein Frotteetuch – zu nehmen und auf allen vieren die Sockelleisten zu säubern. Darüber beklagte ich mich bitterlich bei meiner Mutter, als sie in ihren Frühlingsferien nach Italien kam.
An einem Morgen, als ich ins Bad ging, um etwas wegzustellen, lief ich Cera in die Arme, und sie küsste mich auf die Lippen. Ich stand einfach nur da und starrte sie an, zu überrumpelt, um etwas sagen zu können. »Dein Gesicht sagt mir, dass das nicht in Ordnung war«, sagte sie hastig. »Tut mir echt leid.«
Danach unternahm sie keine körperlichen Annäherungsversuche mehr, allerdings fragte sie einmal, ob ich nicht neugierig sei, wie es wäre, mit einer Frau wie ihr zu schlafen. Meine Standardantwort – ein entschiedenes »no« – machte sie traurig.
Auch das erzählte ich meiner Mutter.
Meine Besuche bei Don Saulo waren meine einzigen stressfreien Momente.
»Amanda, wir müssen reden«, sagte Cera eines Tages. Sie lehnte am Eingang zur Küche und beobachtete, wie ich an die Wand starrte. Sie hatte die Arme vor ihrem mageren Körper verschränkt. »Hör zu, ich habe nicht den Eindruck, dass wir eine Beziehung zueinander haben. Warum sprichst du nicht mit mir?«
»Ich habe echt nichts zu sagen«, antwortete ich. »Alles, worüber ich nachdenke, ist rein persönlich«, stammelte ich, und meine Augen füllten sich mit Tränen.
Den Behörden traute ich nicht mehr. Sie waren gegen mich. Ständig stand ich unter Bewachung. Ich las. Ich übte Italienisch. Die meiste Zeit verbrachte ich damit, Briefe an die Menschen zu schreiben, die ich so sehr vermisste – meine Mutter, meinen Vater, Madison, Brett, DJ, Oma, meine Schwestern. Das war die einzige Möglichkeit, mich mit der Außenwelt verbunden zu fühlen.
Wie sollte ich das Cera erklären?
»Wenn ich dich so anschaue, dann sehe ich mich selbst vor vier Jahren«, sagte sie. »Mir ist egal, ob du schuldig bist oder nicht, aber ich mache mir Sorgen, dass du leidest. Ich möchte nicht, dass du dieselben Fehler machst wie ich. In den Jahren, seitdem ich im Gefängnis sitze, habe ich geschrien, gekämpft, gehungert und mich geritzt, und niemand hat sich darum gekümmert oder sich bemüht, mir zu helfen. Bitte, komm aus deinem Panzer, bevor er dich erdrückt. Wenn du dich immer in dir versteckst, wirst du nie zurück nach draußen finden.«
Meine einzige Hoffnung, mein einziger Gedanke in jenem Winter und Frühling war, dass der Richter mir vielleicht erlauben würde, bei meiner Familie in einer Wohnung unter Hausarrest zu leben. Mein erstes Gesuch war abgelehnt worden, doch meine Anwälte hatten für den 1. April eine weitere Anhörung angesetzt. Obwohl Carlo und Luciano hinsichtlich des Ausgangs keine Zuversicht zeigten, war ich sicher, dass es diesmal klappen würde. Ich zählte die Tage.
Eine knappe Woche vor der Anhörung bekam ich im Fernsehen mit, Mignini habe Guede erneut vernommen. Ich hörte mir die Nachrichten an in der Hoffnung, Guede würde die Wahrheit sagen.
Mein Herz begann dabei unangenehm zu pochen. »Amanda und Raffaele waren in der Nacht im Haus«, hatte Guede angeblich behauptet. »Ich habe sie gesehen. Als ich aus dem Bad kam, sah ich eine männliche Gestalt. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter, und er hatte ein Messer in der Hand. Ich hörte auch Amanda Knox. Sie war an der Tür – ich sah sie dort. Die beiden Mädchen hassten sich. Ein Streit über Geld hat das ausgelöst. Meredith beschuldigte Amanda, sie habe dreihundert Euro aus ihrer Schublade gestohlen.«
»Das ist glatt gelogen!«, platzte es aus mir heraus. Noch nie habe ich so viel Hass auf einen anderen Menschen verspürt, wie in dem Augenblick auf Guede.
Cera warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Jetzt bist du echt gelinkt«, sagte sie. »Sobald Angeklagte sich gegenseitig beschuldigen, ist alles aus – für ihn und für dich. Genau das, was
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