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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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Staatsanwaltschaft behauptete. Der Abdruck war zu kurz, um von Raffaeles Küchenmesser zu stammen.
    Ich war davon ausgegangen, dass die Anklageerhebung das eigentliche Ende der Ermittlungen anzeigte. Jetzt fühlte ich mich abrupt an den Punkt zurückversetzt, an dem ich in den vergangenen Monaten gewesen war – wieder fragte ich mich, womit die Staatsanwaltschaft uns als Nächstes überraschen würde.
    Gleichzeitig hatten wir Beweismaterial, das Carlo als »die Handschrift des Mörders« bezeichnete.
    Ich rief mir ins Gedächtnis, dass wir auch den gesunden Menschenverstand auf unserer Seite hatten. Es gab kein Motiv. Ich hatte keine gewalttätige Vorgeschichte. Ich kannte Rudy Guede kaum. Raffaele hatte ihn gar nicht kennengelernt.
    Am Tag bevor das Vorverfahren begann, kamen Luciano und Carlo mich besuchen. »Wir werden so stark und energisch auftreten, wie es eben geht«, versprach Luciano.
    Carlo, der Pessimist, sagte: »Machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen, Amanda. Ich bin mir nicht sicher, ob wir gewinnen. Ihrem Fall wurde zu großes Interesse geschenkt. Der Druck auf das italienische Rechtssystem ist zu stark, um davon ausgehen zu können, dass man Ihnen keinen Prozess macht.«

23
    18. September – 28. Oktober 2008
    D ie Wärterin schob die Käfigtür zu und schloss ab. Von Platzangst gepackt, war ich allein in einer engen, kalten Metallkiste, die kaum groß genug war, um mich hinsetzen zu können.
    Ich hielt meinen Mund an die wabenförmige Holzverkleidung über mir und sog die Luft ein. Verglichen hiermit, schien der vergitterte Raum in dem anderen Gefängniswagen wie Luxus. Ich hörte, wie die Doppeltüren des Wagens zuschlugen, und spürte, wie er anzog, als wir von Capanne abfuhren. Die vier blau uniformierten Wachen konnten die Landschaft sehen. Ich nicht. Ich wusste, wir kurvten zum Gerichtsgebäude in der Innenstadt von Perugia zum Vorverfahren, das darüber entscheiden würde, ob die Staatsanwaltschaft genügend Beweismaterial gegen Rudy Guede, Raffaele und mich hatte, um uns den Prozess zu machen.
    Auf dieser Fahrt fühlte ich mich eingesperrter als im Knast. Ich kam mir vor wie ein Paket in einem Postwagen – ich war drin, aber vernachlässigt. Die Wachen hatten die Aufgabe, mich anzuliefern. Mehr nicht.
    Ich sehnte mich danach, aus dem Fenster zu schauen. Seit meiner Festnahme war ich nur ein einziges Mal aus dem Gefängnis herausgekommen, und das auch nur, weil ich zum Augenarzt musste. Der Aufenthalt im Gefängnis, in dem alle Aussichten von Gitterstäben durchbrochen sind, hatte mich kurzsichtig gemacht. Unterwegs hörte ich Kinder spielen und begann zu schluchzen. Ich musste dabei an meine Familie denken, an alles, was ich verloren hatte. Das Vorverfahren war eine viel unangenehmere Erfahrung.
    Als der Wagen die Rampe zur Tiefgarage hinunterfuhr, sagte eine Wärterin: »Die Journalisten erwarten dich, Khh-nok-ks.«
    »Sie sind schön brav, damit wir Ihnen keine Handschellen anlegen müssen, ja?«, sagte eine andere Wärterin. Ich war immer so höflich und fügsam gewesen, dass eine Wärterin einmal zu mir sagte: »Wenn alle Insassen so wären wie Sie, bräuchten wir keine Gefängnisse.«
    Weil ich nicht im Gefängnis sitzen sollte, hatte ich im Stillen gedacht.
    Vor dem Betreten des Gerichtsgebäudes durch die Doppeltüren hatte ich ein paar Augenblicke an der frischen Luft, konnte mich aber nicht frei bewegen. Eine Wärterin hielt mich am Arm fest und steuerte mich ins Gebäude, von dort aus in die Vorzimmer, in denen Häftlinge eingeschlossen werden. Später, im Gerichtssaal, stand eine Wache hinter mir. Eine zweite hatte sich ein paar Schritte seitlich von mir aufgestellt.
    Auf dem Weg durch den Flur nahmen zwei Wachen mich in die Mitte, eine Wärterin ging vor uns her. »Nicht vergessen. Kein Wort an die Presse. Nicht einmal ein Blick in deren Richtung«, warnte mich eine.
    Als wir um eine Ecke bogen, blitzten Kameras auf. Medienvertreter riefen Fragen auf Italienisch und Englisch: »Sind Sie schuldig?« – »Sind Sie unschuldig?« – »Warum haben Sie das getan?« – »Haben Sie es getan?« – »Was ist mit Meredith passiert?« – »Was haben Sie zu sagen?«
    Die Journalisten und Fotografen standen hinter einem Absperrseil. Ich nahm ihre Gesichter nicht wahr, nur riesige schwarze Objektive und gleißendes Blitzlicht. Ich war derart eingeschüchtert, dass ich mich instinktiv duckte, um mein Gesicht zu verbergen.
    Dann war es vorbei. Der Gerichtssaal – allen

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