Zeit, gehört zu werden (German Edition)
sie sagte, die Akten seien für Sie nicht wichtig.«
Unsere einzige Alternative war, Stefanoni von Angesicht zu Angesicht nach ihren Methoden zu fragen.
Stefanoni war eine attraktive Frau Ende dreißig – äußerst gepflegt mit langem, dunklem Haar, manikürten Fingernägeln und dunklem Teint. Sie trug einen engen Hosenanzug, der ihre Figur betonte. Die Fragen der Staatsanwaltschaft zielten darauf ab, dass sie dem Richter versicherte, alle Tests seien korrekt ausgeführt worden.
Dr. Sarah Gino, unsere DNA-Expertin, war eine schlanke Frau Anfang dreißig, mit kurzem, farblosem Haar und starker Brille. Ihre Überzeugung war unerschütterlich. Sie stellte Stefanoni beharrlich Fragen. Dr. Gino hielt fest, dass Stefanoni nicht genügend Informationen über ihre Ermittlungen zur Verfügung gestellt hatte, sodass unsere Verteidigung nicht in der Lage gewesen war, ihre Schlussfolgerungen anzuzweifeln. Wie viel DNA von Meredith hatte sie an der Messerklinge gefunden? Welche Beweise gab es für die von der Staatsanwaltschaft behauptete Säuberungsaktion?
Am Ende gab der Richter dem Antrag von Raffaeles und meinen Anwälten statt, Stefanonis Ergebnisse einer unabhängigen Prüfung zu unterziehen. Der Experte, den er dafür einsetzte, war Leiter der polizia scientifica – Stefanonis Chef. Dieser winkte Stefanonis Arbeit durch, was nicht weiter überraschte. Sie sei perfekt, sagte er. Damit hatte es sich.
Die andere Aussage kam von einem Zeugen namens Hekuran Kokomani, einem Albaner, den die Staatsanwaltschaft aufrief, um zu beweisen, dass Raffaele, Rudy Guede und ich uns kannten. Unsere Anwälte wandten ein, Raffaele sei Guede nie begegnet. Ich hatte ihn einmal kurz gesehen. Meine zweite Begegnung mit ihm war, als ich seine Getränkebestellung im Le Chic aufnahm.
Kokomani sagte, er habe uns drei zusammen an Halloween gesehen, am Tag vor dem Mord.
Eine glatte Lüge.
Kokomanis Zeugenaussage machte das Vorverfahren vollends zur Farce.
Er sagte, er sei an Halloween nach dem Abendessen über die Viale Sant’Antonio gefahren, die verkehrsreiche Durchgangsstraße oberhalb unseres Hauses, und auf einen schwarzen Müllsack mitten auf der Straße gestoßen. Als er aus dem Auto gestiegen sei, habe er gemerkt, dass der »Sack« zwei Menschen waren – Raffaele und ich. Er erzählte dem Gericht, Raffaele habe ihn mit der Faust geschlagen; dann hätte ich ein säbellanges Messer gezogen und über dem Kopf geschwungen. »Raffaele sagte: ›Mach dir um die keine Sorgen. Sie ist ein Mädchen‹«, erklärte Kokomani. »Dann habe ich ihr Oliven ins Gesicht geworfen.«
Als wäre das noch nicht widersinnig genug, behauptete er, anschließend sei Guede, den er aus einer Pension kannte, in der er – Kokomani – arbeitete, zum Auto geschlendert. Er habe Guede gefragt: »Was soll das mit dem Messer?«
»Guede sagte: ›Hey, Bruder, es ist eine Party. Wir zerteilen bloß Kuchen.‹«
»Ich weiß, dass es Amanda war«, fuhr Kokomani fort, »weil ich ihren Stiefvater getroffen habe. Raffaele und Amanda sind die Straße hinuntergegangen. Es war im August. Er hat mir ein Bier ausgegeben.«
Ich war krankhaft neugierig auf Guede und gleichzeitig total angewidert. Vor allem war ich zutiefst enttäuscht. Ich hatte gedacht, wir hätten die Chance, ihn zur Rede zu stellen. Aber er überließ das Reden seinen Anwälten.
Als Guedes Anwalt, Walter Biscotti, das Wort ergriff, behauptete er, sein Mandant sei unschuldig. Im Wesentlichen sagte er: »Rudy hat mir seine Version der Geschichte erzählt. Was er sagt, ist nicht so abscheulich, wie es scheint. Rudy war in der Villa, weil er und Meredith sich verabredet hatten, und sie knutschten ein bisschen, bevor er ins Bad ging. Er hat angedeutet, dass Knox und Sollecito die eigentlichen Täter sind.«
»Kann das nicht sein?«, fragte Biscotti. »Ist es nicht das, was die Indizien zeigen? Sie beweisen, dass er dort war, und das hat er zugegeben. Er sagt, er sei weggegangen, weil er Angst hatte. Natürlich hatte er Angst! Er ist ein junger Farbiger, schlägt sich mehr schlecht als recht durch, verlassen von seinen Eltern. Manchmal hat er aus Not gestohlen. Ich glaube nicht, dass genügend Beweismaterial vorliegt, um sagen zu können, dass er getötet hat. An dem Messer findet sich Amandas DNA, am BH-Verschluss die von Raffaele. Rudy gibt zu, dass er dort war. Er erzählt, was passiert ist, und ich glaube ihm.«
Für Guede wurden keine Zeugen aufgerufen. Seine Anwälte konnten nur das Beweismaterial
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