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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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ich das alles durchstand. Nachdem ich seinen ersten Brief erhalten hatte, war mein Vertrauen in ihn wieder bestärkt worden, und wir schrieben uns inzwischen regelmäßig. Ich wusste, ich konnte Raffaele mein Leben anvertrauen. Und das machte ich.
    Mignini und seine Stellvertreterin, Manuela Comodi, waren fest entschlossen, eine Verbindung zwischen Guede, Raffaele und mir herzustellen.
    Offensichtlich verfolgten sie die Theorie, dass ich Guede kannte, seitdem Meredith und ich uns mit den Jungs von unten am Brunnen auf der Piazza IV Novembre getroffen hatten – an dem Abend hatte er den Jungs gesagt, er fände mich süß. Damals hatte er auf mich überhaupt keinen Eindruck gemacht. Die Staatsanwaltschaft vermutete, dass er nach jenem Abend Kontakt mit mir aufgenommen hatte, vielleicht über den Kauf von Drogen. Sie betonten, wir hätten eine Beziehung gehabt, und obwohl sie eingestanden, dass sie nicht unbedingt romantisch gewesen war, beharrten sie darauf, dass Guede, ebenso wie Raffaele, besessen von mir war. Des Weiteren stand für sie fest – basierend auf Material, das Raffaele auf seine Facebook-Seite gestellt hatte, lange bevor er mich kannte –, wir wären am Abend des 1. November aus Langeweile zur Piazza Grimana gezogen. Dort seien wir, wie Mignini sagte, am Baseballplatz Guede über den Weg gelaufen. Er habe gesagt: »Hey, kommt, wir hängen bei mir ein bisschen ab.«
    Die Staatsanwaltschaft spann diese Vermutung noch weiter. Laut Mignini fanden wir Meredith in der Villa und sagten: »Hey, die dumme Kuh. Der zeigen wir’s. Kommt, wir bringen sie zu einem Sexspiel.«
    Ich war entsetzt. Wer denkt denn so etwas?
    In deren Vorstellung hasste ich Meredith, weil wir über Geld gestritten hatten. Mignini sagen zu hören, ich hätte Guede aufgefordert, Meredith zu vergewaltigen, war äußerst empörend. Er fügte hinzu, ich sei die Anführerin gewesen und habe Raffaele angewiesen, Meredith festzuhalten. Seine Behauptung, ich hätte Meredith mit einem Messer bedroht, war wie ein Tritt für mich. Noch schlimmer war seine Behauptung, ich hätte Meredith umgebracht, weil sie sich weigerte.
    Als er sagte, wir hätten uns gelangweilt und wären zur Piazza gegangen, klang es nach einer spontanen Idee. Nun aber behauptete er, ich hätte versucht, Meredith an Halloween in eine Falle zu locken – an einem Feiertag, der in seinen Augen das Böse verkörperte. Mignini begründete seine Annahme mit einer SMS, die ich Meredith geschickt hatte, um mich an Halloween mit ihr zu verabreden. Er hob unsere angebliche Unmoral und Neigung zu Gewaltfantasien hervor. Sein »Beweis«? Raffaeles japanische Comicbücher über Vampire und ein Song von Marilyn Manson, den er heruntergeladen hatte. In seinem Schlussplädoyer sagte Mignini, der Mord an Meredith sei vorsätzlich gewesen und ein Ritual, das anlässlich des Halloween-Abends begangen worden sei. Ein sexuelles Opferritual, das die Verschwörer schon vierundzwanzig Stunden früher hätten begehen wollen.
    Er warf Motive an die Wand wie manche Leute Nudeln – um zu sehen, welche kleben bleiben.
    Ich war nicht an den juristischen Fachjargon gewöhnt und abhängig von der jungen Amerikanerin, die als meine Dolmetscherin eingesetzt worden war, um mich darüber in Kenntnis zu setzen, was gesagt wurde.
    Der Richter des Vorverfahrens ließ zwei Zeugenaussagen zu. Die erste war die der DNA-Analytikerin Patrizia Stefanoni von der polizia scientifica .
    Gleich nachdem wir angeklagt waren, hatten Raffaeles und meine Anwälte die groben Daten aller forensischen Tests angefordert, die Stefanoni durchgeführt hatte. Wie wurden die Proben ausgewählt? Mit wie vielen Wattepads hatten sie das Waschbecken im Bad und das Bidet abgetupft? Wie oft hatten sie die Handschuhe gewechselt? Welche Tests hatten sie durchgeführt – und wann? Welche Maschinen hatten sie benutzt, zu welchen Zeiten und an welchen Tagen? Wie sahen die ursprünglichen, nicht veröffentlichten Ergebnisse der DNA-Tests aus?
    Ihre Antwort lautete: »Nein. Wir können Ihnen diese Dokumente nicht aushändigen, nach denen Sie immer wieder fragen, weil Ihnen die genügen müssen, die Ihnen bereits vorliegen.«
    Während des Vorverfahrens beantragten die Anwälte der Verteidigung erneut Einsicht, diesmal bei Richter Paolo Micheli, der dem Antrag stattgab. Stefanoni gab uns ein paar Dokumente, jedoch nicht genug, um die Daten zu interpretieren. Als wir Einspruch erhoben, sagte der Richter achselzuckend: »Tja, ich habe sie gefragt, und

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