Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
Vom Netzwerk:
mag, einen besseren Sinn für Logik als Claudia Matteini.«
    »Das soll wohl ein Witz sein! Müssen wir etwa den ganzen Sommer warten?«, stöhnte ich.
    Da erfuhr ich, dass die italienischen Gerichte die zweite Hälfte des Juli und den ganzen August fast vollständig schließen. Italien glaubt nicht an das Recht auf ein beschleunigtes Verfahren.
    An jenem Nachmittag ging ich alleine joggen. Immer rundum in kleinen, schwindelerregenden Kreisen im Hof vor der Kapelle. Schon längst hatte ich herausgefunden, dass ungefähr achtzig Runden eine Meile ergaben. Plötzlich öffnete Argirò die Tür. »Khh-nok-ks«, rief er und winkte mich hinein.
    Komisch. Im Gefängnis ist alles Routine, und das war bisher noch nie vorgekommen.
    »Was ist los?«, fragte ich verwirrt.
    »Wir erlassen Ihnen die Einschränkungen.«
    Einfach so. Während die Ermittlungen in meinem Fall liefen, hatte die Richterin angeordnet, mich zu meiner eigenen Sicherheit abzusondern. Jetzt aber, als angeklagte Verbrecherin, war nicht mehr das Gericht, sondern das Gefängnis für mich zuständig.
    Bis zu dem Moment hatte ich nicht geglaubt, dass das jemals geschehen würde.
    Erst ein paar Tage waren vergangen, seit ich aus Ceras Zelle verlegt worden war, weil wir nicht zueinander passten, wie wir beide übereinstimmend angaben – ich war ihr nicht penibel genug, und sie war für mich unerträglich kontrollierend. Ich war mit zwei vollbusigen Schwestern mittleren Alters, Pica und Falda, zusammengelegt worden, die sich mit dem politisch unkorrekten Ausdruck zingari – Zigeunerinnen – bezeichneten. Sie waren freundlich und ungebildet – keine von beiden konnte die Uhr lesen. Und als ich versuchte zu erklären, dass Seattle auf der anderen Seite der Erdkugel liege, hatten sie keine Ahnung, wovon ich sprach. Schließlich wurde mir klar: Sie wussten nicht, dass die Erde rund ist.
    Die Gefängnisleitung hatte immer verlangt, mich isoliert zu halten – ich hatte zwar Zellengenossinnen, konnte jedoch außer an ein paar vorgeschriebenen Veranstaltungen nicht mit allen Kontakt aufnehmen –, weil andere Insassinnen mich wahrscheinlich schlagen würden. Jetzt öffnete Argirò mit der leisen Vorwarnung »Seien Sie auf der Hut vor den anderen Mädels!« eine zweite Tür. Statt den passeggio für mich allein zu haben, war ich in Gesellschaft von fünfzehn anderen schwitzenden Frauen.
    Sobald ich hinausging, fing die Schar Häftlinge an zu johlen und zu schreien. »Sie ist draußen! Sie ist bei uns! Gut gemacht!«
    Ich befand mich in einem von Betonwänden umgebenen Bereich, etwa ein Drittel so groß wie ein Football-Feld. Der Boden war mit orangerotem Kautschuk ausgelegt. Es war das wütendste Rot, das ich je gesehen hatte – und kahl, bis auf ein paar weiße Plastikbänke und Dutzende Zigarettenstummel. Es machte mir nichts aus. Das war der offenste Raum, den ich bisher im Gefängnis gesehen hatte. Ich sprintete los, drehte weite Kreise, hüpfte und jauchzte: »Ich bin draußen! Ich bin draußen!« Die anderen Insassinnen starrten mich an und dachten wahrscheinlich, ich sei genauso unbegreiflich, wie die Medien mich darstellen.
    Ich machte mich mit Frauen bekannt, denen ich in Capanne schon begegnet war – bei einer Filmvorführung, einer Messe oder beim Gitarrenunterricht –, die ich aber noch nicht näher hatte kennenlernen können. Bisher hatte ich nur meine Zellengenossinnen als Gesellschaft, und diese Beziehungen waren am Ende enttäuschend und nervtötend gewesen.
    Um drei Uhr nachmittags, als der passeggio zu Ende war, stellten wir uns hintereinander auf, um von einer agente abgetastet zu werden. Eine junge Frau, die ich nicht kannte, trat zu mir. »Ich bin Wilma«, sagte sie. »Kaufst du mir zwei Packungen Zigaretten?«
    »Kann sein«, murmelte ich. Sie hatte mich überrumpelt, und ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
    Ich berichtigte mich. »Ich kaufe dir eine Packung.«
    Voll angestauter Energie, von der ich nicht einmal wusste, dass ich sie hatte, ging ich am Abend zu meiner ersten socialità . Zwischen all diesen neuen Leuten eingezwängt zu sein – die sich unterhielten, Kicker und Karten spielten – erinnerte mich an mein erstes Jahr an der Highschool. Ich muss nur meine Clique finden und damit klarkommen .
    Meine Begeisterung hielt nicht lange an. Zwei Frauen kamen zu mir und fingen an, mich zu schikanieren. »Warum kaufst du Wilma Zigaretten?«, wollten sie wissen. »Die hat keine Hilfe verdient, von niemandem.«
    Das setzte einen murrenden

Weitere Kostenlose Bücher