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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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Gericht zum Ausdruck bringen konnte.
    Nach der Episode mit dem T-Shirt kam ich mir töricht vor. Die Presse ritt auf der Frage herum, was ich mit meiner Kleidung ausdrücken wollte. Will Amanda sagen, dass sie von den Schöffen einzig und allein Liebe braucht? Eine englische Zeitung überschrieb ihren Artikel über die Verhandlung an diesem Tag so: »Widerlich: das T-Shirt des Mordprozess-Mädchens mit dem Liebes-Spruch«. Und im Artikel hieß es: »Knox’ narzisstische Freude daran, den Blick der Medien auf sich zu lenken, und ihre offenbar unbekümmerte Haltung während des größten Teils der Verhandlung deuten auf eine psychopathische Persönlichkeit hin.«
    Noch nie war ich so entmutigt gewesen. Und ich zog nie wieder etwas an, was als aufmerksamkeitsheischend angesehen werden konnte. Aber die Presse befasste sich weiterhin mit meiner Kleidung, meiner Frisur und meinen Gemütszuständen – ob ich fröhlich, traurig, verweint oder gelangweilt war. Teleobjektive versuchten einzufangen, was ich auf meinen Notizblock kritzelte.
    Die Presse schrieb, ich müsse immer im Mittelpunkt stehen. In Wirklichkeit hatte mich das Gefängnis gelehrt, dass ich nichts war. Nichts drehte sich um mich. Nichts, was ich sagte, spielte eine Rolle. Ich hatte keinerlei Macht. Ich nahm bloß Raum ein. Am liebsten wäre ich verschwunden. Ich wollte nicht mehr ich sein.

    Die Verhandlungstage waren oftmals sehr anstrengend – wie unsere »freien« Tage auch.
    Während der ersten paar Monate des Prozesses war ich noch eine infame und konnte mit keiner der Insassinnen sprechen außer mit Fanta, zu der ich mich hatte verlegen lassen. Dann erfuhr Cera eines frühen Morgens völlig unerwartet, dass sie eine halbe Stunde Zeit hatte, ihre Sachen zu packen. Sie wurde in ein Gefängnis in Rom überführt. Als der Gefängnistag begann, war sie schon fort. Sie tat mir leid – Capanne hatte einen besseren Ruf als die meisten anderen Haftanstalten in Italien.
    Es tat mir auch leid, dass wir es nicht geschafft hatten, uns auszusöhnen und vielleicht sogar wieder miteinander zu reden. Sie hatte mir eine Menge über das Gefängnis beigebracht und war mir letztendlich eher kaputt als böse erschienen.
    Doch als ich um neun Uhr zum ersten passeggio hinausging, sagte jede, an der ich auf meinen Runden vorbeikam: »Guten Morgen.« Einfach so! Es hörte ebenso abrupt auf, dass man mich mit Schweigen strafte, wie es begonnen hatte.
    Eine Frau, die schon seit Monaten in Capanne war, ohne dass ich sie bisher kennengelernt hatte, kam zu mir und stellte sich vor. »Ich bin Dura«, sagte sie. »Ich wusste schon immer, dass du nicht so schlecht bist, wie Cera behauptet hat. Aber was konnte ich dagegen machen?«
    Es half mir, dass die Spannung, unter der ich gelebt hatte, sich ein bisschen löste, aber davon abgesehen änderte sich wenig für mich. Ich hatte festgestellt, dass ich ganz gern mit mir allein war, und blieb weiterhin für mich.
    Was mir weiterhin Probleme bereitete, war das Zusammenleben mit mehreren Frauen in einer Zelle. Zum Teil lag das an der Fluktuation. In den Monaten, die ich nun schon in Capanne war, hatte sich die Zahl der Häftlinge verdoppelt. Da man keine neuen Räume anbauen konnte, wurde die Bettenzahl aufgestockt. Mona kam, kurz nachdem man in unserer Viererzelle ein fünftes Bett auf eines der anderen Betten aufgesetzt hatte. Sie war eine stämmige, maskuline Neapolitanerin mit selbst beigebrachten Narben an den Armen und lückenhaftem Gebiss. Mona war in den Dreißigern und vollkommen unberechenbar – so fröhlich und brav wie ein kleines Kind an Heiligabend oder so blindwütig wie ein tobender Stier. Sie stand permanent unter starken Medikamenten, schlief viel und war desorientiert, wenn sie wach war.
    Wir vier waren alles andere als begeistert darüber, dass wir eine fünfte Mitbewohnerin aufnehmen mussten, und die fünfte war wütend über ihre Verlegung. Bevor sie sich bei uns einrichtete, schleuderte sie einen Schemel durch den Raum und schrie nach der Wärterin.
    Bei der socialità tat sie sich mit einer femininen Insassin namens Gaetana zusammen, aber ihre Affäre war nur von kurzer Dauer. Gaetana ließ Mona zugunsten einer anderen maskulinen Süditalienerin fallen, und das neue Paar saß oftmals draußen auf einer Bank, eine Hand auf dem Knie der jeweils anderen.
    Eines Tages ging ich beim passeggio gerade vor Gaetanas Bank vorbei, als Mona das Paar angriff. Ich war im Weg und sprang beiseite, Sekunden bevor Mona über Gaetana

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