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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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die Namen von Männern nannte, die uns besucht hatten, antwortete Laura: »Das sind meine Freunde.« Und als er fragte, ob jemand in der Villa Marihuana geraucht habe, sagte sie: »Jeder.«
    Dann erwähnte der Staatsanwalt den Knutschfleck, den Raffaele mir verpasst hatte, als wir am Abend des 1. November miteinander geschlafen hatten. »Haben Sie gesehen, ob Amanda eine Verletzung hatte, einen Kratzer, irgendeine Wunde?«, fragte er sie.
    »Als wir in der questura waren, ist mir aufgefallen, dass Amanda eine Wunde am Hals hatte«, antwortete Laura. »Schließlich war Meredith ja mit einem Stich in den Hals getötet worden. Ich hatte Angst, dass auch Amanda verletzt worden sein könnte.«
    Ich mochte Laura und hatte zu ihr aufgeblickt. Sie hatte mir ihre Gitarre geliehen und fand es cool, dass ich Yoga machte. Es gab nur einen Grund, weshalb sie einen Knutschfleck in ein Indiz für meine Verwicklung in den Mord umdeuten würde. Mir sackte der Magen in die Kniekehlen. Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet Laura mich für schuldig hält .
    Ich fühlte mich vollständig im Stich gelassen.
    Obwohl meine Wortmeldung zum Vibrator eine Katastrophe gewesen war, konnte ich es mir nicht verkneifen, mich zu Lauras und Filomenas Aussagen zu äußern. Also bat ich darum, eine weitere spontane Aussage machen zu dürfen.
    »Danke, Euer Ehren«, sagte ich. »Es hat mich aufrichtig bekümmert zu hören, wie sehr bei der Sache mit dem Saubermachen nach all dieser Zeit übertrieben wird. Das war eine totale Übertreibung. Es gab keine Konflikte deswegen. Nie. In Wahrheit hatte ich immer eine gute Beziehung zu diesen Leuten. Deshalb bin ich wirklich bekümmert – bekümmert, weil es nicht so war. Also, vielen Dank.«
    Selbst der stundenlange Konsum von Gerichtsserien im Fernsehen hatte mich nicht darauf vorbereitet, wie angespannt und unbehaglich man sich in einem echten Gerichtssaal fühlen kann – oder dass die Angeklagten in der realen Welt kein Skript in die Hand bekommen. Als ich dort stand, während die Augen der Welt auf mich gerichtet waren und jedes Wort, das ich sagte, jede Geste und Betonung genauestens unter die Lupe genommen wurden, hätte ich ebenso gut nackt auf der Piazza IV Novembre stehen können.
    Dennoch wünschte ich, ich hätte meine Anwälte gedrängt, mich öfter sprechen zu lassen. Luciano und Carlo hatten die besten Absichten. Aber ich glaube, sie unterschätzten die Macht meiner Stimme und die schädliche Wirkung meines Schweigens.
    Trotz meiner unbeholfenen Versuche, mich zu verteidigen – und obwohl andere Leute mich als das Mädchen mit dem Vibrator, als Schlampe, als Mädchen mit einem »Kratzer« am Hals beschrieben –, richtete ein schlichtes T-Shirt in diesen ersten Wochen den größten Schaden an, und daran war ich selbst schuld. Meine Stiefmutter Cassandra hatte mir das Shirt geschickt. Die dicken, fünfzehn Zentimeter großen pinkfarbenen Lettern darauf plärrten: All You Need Is Love – der Titel eines meiner Lieblingssongs der Beatles. Ich liebte es und trug es am Valentinstag – dem Tag, an dem Laura aussagte.
    Wenn ich auf meinem täglichen Weg in den Gerichtssaal und wieder hinaus an den Pressebänken vorbeikam, schenkte ich den Journalisten und Fotografen keinerlei Aufmerksamkeit.
    Bei ihren Besuchen hatten meine Eltern mich darüber aufgeklärt, worüber »diese bescheuerten Journalisten« schrieben. »Die reden nicht über die Vernehmungen, sondern nur über deine Frisur«, sagte mein Vater mehr als einmal.
    Luciano und Carlo hatten gesagt, es zähle nur, was im Gerichtssaal geschehe – wir müssten zeigen, dass die Anklage falsch lag.
    »Du bist ein braves Mädchen. Sei einfach so, wie du bist«, sagte Luciano.
    Ich war bereits zu dem Schluss gelangt, dass ich ohnehin nichts anderes tun konnte.
    Jemand erteilte mir den hilfreich gemeinten Rat, im Gerichtssaal ein Kreuz an einer Kette um den Hals zu tragen. Das lehnte ich sofort ab. Ich konnte nicht so tun, als wäre ich religiös geworden.
    Ich dachte mir, wenn ich meine üblichen Jeans und ein T-Shirt anzog, würden mich die Richter und Schöffen so sehen, wie ich wirklich war – nicht als Foxy Knoxy, nicht als jemanden, der die Autoritäten mit seiner Kleidung zu beeindrucken versuchte.
    Ich bin froh, dass ich kein Kreuz trug, aber im Rückblick wünschte ich doch, jemand hätte mir gesagt, dass meine Kleidung dem seriösen Schauplatz und dem Ernst meiner Lage entsprechen sollte – dass ich auch dadurch meinen Respekt vor dem

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