Zeit, gehört zu werden (German Edition)
Gericht seiner Aussage Glauben schenkte.
Der Basketballplatz war wie maßgeschneidert für die Anklage. Der direkteste Fußweg von Raffaeles Wohnung zu meiner Villa führte über die Piazza Grimana. Dort hatte bekanntlich auch Rudy Guede herumgehangen und Basketball gespielt. Dort hatte ich einmal versucht, mit den Jungs von unten Körbe zu werfen, bis ich ihnen schließlich nur noch vom Spielfeldrand aus zuschaute. Ich hatte mit niemandem gestritten und war nie wieder dort gewesen, aber wenn die Schöffen diesem Burschen nun seine Geschichte abkauften?
Und warum brachte die Anklage das überhaupt aufs Tapet? Würde die Geschichte stimmen, hätten wir ein Alibi gehabt. Wenn Curatolo uns schon so früh auf der Piazza gesehen hatte, konnten wir den Mord nicht zwischen halb zehn und zehn begangen haben, als Meredith nach Überzeugung der Verteidigung gestorben war. Und wenn er uns noch so spät gesehen hatte, konnten wir Meredith nicht um halb zwölf zum Schreien gebracht haben, wie Nara Capezzali berichtet hatte. Seine Darstellung untergrub die Theorie der Anklage. Deshalb drehte Mignini die Zeit zurück, zu der Curatolo uns zuletzt gesehen hatte.
»Woher wussten Sie, wie viel Uhr es war?«, fragte der offensichtlich irritierte Staatsanwalt.
»Ich habe die Piazza Grimana immer kurz vor Mitternacht verlassen, um im Park auf der anderen Seite der Universität schlafen zu gehen«, sagte der Zeuge.
»Und Sie sind auch an diesem Abend vor Mitternacht weggegangen?«, setzte Mignini nach.
»Ja, zwischen halb zwölf und Mitternacht.«
»Und Sie haben die beiden zuletzt gesehen, bevor Sie die Piazza Grimana verlassen haben?«
»Ja.«
»Also vor halb zwölf?«
»Ja.«
Hekuran Kokomani war schon bei unserem Vorverfahren aufgetreten, wo der Richter ihn für unzuverlässig gehalten hatte. Seine Aussage war für die Anklage jedoch von entscheidender Bedeutung. Er war die einzige Person, die behauptete, Raffaele und mich zusammen mit Rudy Guede gesehen zu haben.
Mignini forderte Kokomani auf, mich im Gerichtssaal zu identifizieren. Später fragte ihn Carlo, wie er so sicher sein könne, dass ich diejenige sei, die er gesehen habe. Er habe mein Gesicht gut erkennen können, sagte Kokomani, und er erinnere sich an mich wegen der Lücke zwischen meinen Schneidezähnen. Auf einen Blick von Carlo hin wandte ich mich dem Gericht zu und öffnete die Lippen wie ein Kind, das seine frisch geputzten Zähne vorzeigt. Bevor Carlo darauf hinweisen konnte, dass da keine Lücke war, murmelte Kokomani verwirrt: »Oh, sie hat sie nicht mehr.« Ein Schöffe versuchte, sich das Lachen zu verkneifen.
Kokomanis Aussage war ein Triumph für uns. Die Anklage wirkte unfähig, weil sie ihn in den Zeugenstand geholt hatte. Meine Zuversicht wuchs, während Migninis Zeugen samt und sonders lückenhafte und inhaltlich fragwürdige Aussagen ablieferten. Die Behauptungen seiner Superzeugen strapazierten den gesunden Menschenverstand.
Ich fürchtete mich vor Patrick Lumumbas Aussage in seinem Zivilverfahren. Es nagte noch immer an mir, dass ich mich nie bei ihm entschuldigt hatte. Bestimmt würde der Mann, den ich fälschlich des Mordes bezichtigt hatte, ordentlich gegen mich vom Leder ziehen. Patrick hatte den Medien erklärt, er werde mir nie verzeihen; er hatte wahrheitswidrig behauptet, er habe mich gefeuert, und er hatte mich als »Löwin«, »Lügnerin« und »Rassistin« beschimpft. Sein Anwalt, Carlo Pacelli, hatte mich Luciferina genannt und behauptet, ich hätte »ein Engelsgesicht und die Seele eines Dämons«.
Zu meiner großen Überraschung drosch Patrick nicht auf mich ein. Stattdessen war seine Aussage von Traurigkeit erfüllt. Er war neun oder zehn gewesen, als sein Vater, ein Politiker, im Kongo entführt worden war, und er hatte ihn nie wiedergesehen. »Wir können nicht beweisen, dass er tot ist, wir können nicht beweisen, dass er noch lebt.« Im Gefängnis hatte er schreckliche Angst gehabt, die Geschichte würde sich wiederholen. »Ich hatte das Gefühl, meinen Sohn nie mehr in den Armen halten zu können … Bis auf den heutigen Tag muss ich nachts nachsehen gehen, ob er noch da ist.«
Er schilderte, wie schwierig es gewesen war, seine Kneipe wieder aufzumachen, nachdem die Polizei sie drei Monate lang geschlossen hatte – und wie das Vorhaben letztendlich scheiterte.
Er war auch weitaus versöhnlicher, als ich erwartet hatte. Ich sei nicht gerade die beste Kellnerin gewesen, aber eine nette Person, sagte er.
Ich kann nur
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