Zeit, gehört zu werden (German Edition)
dieser Phase dürfen die Anwälte eigentlich keine eigenen Kommentare abgeben, sondern nur Fragen stellen. Aber er machte seine Ansichten durch pointierte Fragen deutlich: »Trifft es zu oder nicht, dass Sie Patrick Lumumba eines Mordes beschuldigt haben, den er nicht begangen hat?« – »Haben die Polizisten Sie während Ihrer Vernehmung etwa nicht gut behandelt?«
Der Anwalt sah aus, als wäre er angewidert von mir. Ich saß so gerade wie möglich auf meinem Stuhl und zog die Schultern nach hinten – meine Ich-lasse-mich-nicht-einschüchtern-Haltung.
Binnen weniger Minuten merkte ich, dass die Dolmetscherin, die mein Englisch ins Italienische übersetzen sollte – dieselbe unfähige Frau, die mir schon früher im Prozess zugeteilt worden war –, nicht dasselbe sagte wie ich.
Endlich habe ich die Chance zu sprechen! Wenn sie es vermasselt, ist meine Chance ein für alle Mal dahin.
»Ich würde gern Italienisch sprechen, Euer Ehren«, sagte ich höflich. Ich dachte nicht darüber nach, ob das funktionieren würde oder ob es eine gute Idee war. Mein einziger Gedanke war: Ich warte nun seit fast zwei Jahren darauf, das Wort ergreifen zu dürfen. Jetzt ist es so weit!
Das Gefängnisleben hatte zumindest meinen Sprachkenntnissen gutgetan.
Es war eine Erleichterung für mich, dass ich mich direkt an die Schöffen wenden konnte. Das Italienische bereitete mir keine Probleme; schwierig war nur, stundenlang konzentriert zuzuhören und darauf zu achten, dass ich die Fragen richtig verstand und die Fragesteller mich nicht herumschubsten.
Pacelli deutete an, ich hätte Patricks Namen bei meinem Verhör aus eigenem Antrieb genannt. »Nein«, sagte ich. »Die Polizisten haben mir das Handy vor die Nase gehalten und gesagt: ›Schauen Sie, sehen Sie sich die Nachrichten an. Sie wollten sich mit jemandem treffen.‹ Und als ich es bestritten habe, nannten sie mich eine ›dumme Lügnerin‹. Von da an hatte ich große Angst. Sie haben mich schlecht behandelt, und ich wusste nicht, warum.
Es lag daran, dass die Polizisten die Worte ›ci vediamo piu tardi‹ missverstanden haben. Auf Englisch heißt das ›see you later‹ und ist nicht wörtlich gemeint. Es ist nur eine andere Art, ›auf Wiedersehen‹ zu sagen. Aber die Polizisten haben mich immer wieder gefragt, weshalb ich mich mit Patrick verabredet hätte. ›Wollen Sie Patrick decken?‹, fragten sie. ›Wer ist Patrick?‹«
Wir gingen durch, wie ich das Zimmer in der Villa gefunden und welche Beziehung ich zu Meredith gehabt hatte, welche Rolle Alkohol und Marihuana in meinem Leben gespielt hatten und was am 2. November geschehen war. Die Anklage und die Zivilparteien waren auf Konfrontation aus. Ich konnte darauf reagieren. Es dauerte zwei überaus anstrengende Tage, und es gab ein paar Fragen, auf die ich keine Antwort wusste.
Einige Erinnerungen, wie etwa den seelischen Schmerz der Schläge auf den Kopf, hatte ich bewusst zu vergessen versucht. Andere waren von der Zeit getrübt. Ich erinnerte mich zum Beispiel nur noch, dass ich meine Mutter ein einziges Mal angerufen hatte, nachdem Merediths Leiche gefunden worden war, aber aus der Anrufliste des Handys ging hervor, dass ich sie dreimal angerufen hatte, während Raffaele und ich in meiner Auffahrt gestanden hatten.
Bei der Schilderung des Verhörs drückte ich mich klar aus. Ich verhaspelte mich nicht und geriet nicht ins Stocken. Ich sagte nur: Dies ist geschehen. Dies habe ich durchgemacht. Ich erzählte alles, auch, dass eine Polizistin mich auf den Kopf geschlagen hatte.
Als Luciano an der Reihe war, mich zu befragen, entspannte ich mich ein wenig.
»Während der Vernehmung waren all diese Leute um mich herum«, sagte ich. »Vor mir und hinter mir, sie schrien und drohten, und dann war eine Polizistin hinter mir, die das getan hat.«
Ich schlug mir gegen den Kopf, um es zu demonstrieren.
»Einmal, zweimal?«, fragte Luciano.
»Zweimal«, sagte ich. »Beim ersten Mal habe ich so gemacht.«
Ich ließ den Kopf sinken, als wäre ich geschlagen worden, und riss den Mund vor Überraschung weit auf.
»Dann habe ich mich zu ihr umgedreht, und sie hat mich noch mal geschlagen.«
»Sie haben also gesagt, was Sie gesagt haben, und dann bekamen Sie einen Weinkrampf. Hat man Ihnen danach Tee, Kaffee und Gebäck gebracht? Wann war das? Falls Sie es präzise angeben können«, fragte Luciano.
»Sie haben mir erst etwas gebracht, nachdem ich die schriftliche Aussage unterzeichnet hatte, dass Patrick
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