Zeit, gehört zu werden (German Edition)
wirklich gefährlich, doch seine Zwielichtigkeit war ein Hinweis auf Perugias dunkle Seite. Bei meiner Ankunft hatte ich keine Ahnung, dass diese Stadt die höchste Rate Heroinsüchtiger in ganz Italien verzeichnete. Erst im Gefängnis, als ich mit Drogendealern einsaß, erfuhr ich von dem schwunghaften illegalen Handel und dem Drogenkonsum. Im Verlauf meines Prozesses schienen Staatsanwaltschaft und Medien davon auszugehen, dass unsere Nachbarschaft schlecht und unsere kleine Villa eine Todesfalle war.
Obwohl meine Mutter davon nichts wusste, machte sie sich Sorgen um meine Sicherheit – sehr große. Eines Tages, als wir im Internetcafé E-Mails austauschten, erkundigte sie sich: »Wen soll ich anrufen, wenn ich dich nicht erreichen kann?«
»Wir haben keinen Festnetzanschluss im Haus, aber ich kann dir Lauras Nummer geben«, schrieb ich. »Doch um ehrlich zu sein, Mom, bin ich hier sicherer als in Seattle. Meistens bringt mich mein Freund Juve nach der Arbeit nach Hause, und Perugia ist viel kleiner als Seattle. Ich habe inzwischen wirklich viele Freunde.«
»Okay«, schrieb meine Mutter zurück. »Jetzt geht es mir besser.«
Ich glaubte, was ich sagte – nicht weil ich einen Grund dafür hatte, sondern weil ich mich in die vielen Reize der Stadt verliebt hatte. Und einige offensichtliche Hinweise bekam ich einfach nicht mit.
An einem Abend, als das Le Chic zumachte und Juve mich nicht nach Hause bringen konnte, sah ich einen Bekannten von Meredith, dessen richtigen Namen ich nicht kannte. Ich wusste nur, dass Meredith und ihre Freundinnen ihm wegen der Art, wie er tanzte, den Spitznamen Shaky verpasst hatten. Er bot mir an, mich auf seinem Motorroller nach Hause zu fahren. Ich dachte, dem Freund einer Freundin könnte ich vertrauen. Falsch gedacht.
Wir flitzten durch die schmalen Straßen. Als wir den Abzweig zu meiner Villa erreichten, fuhr er langsamer und rief über seine Schulter: »Möchtest du einen Muffin? Ich kenne die beste Bäckerei von Perugia, und die hat die ganze Nacht auf.«
»Nein, ich bin müde. Ich will nur nach Hause.«
»Komm schon, es ist nicht weit.«
»Nein danke«, sagte ich, gerade als wir an meinem Haus vorbeifuhren.
Wir gingen in die Bäckerei, aber ich wollte immer noch nichts. »Ich mag Muffins nicht einmal«, sagte ich. »Und jetzt nach Hause.«
»Zu mir«, sagte er.
»Nein!«, fauchte ich ihn an.
»Nur kurz. Ich muss was abholen.«
»Okay«, erwiderte ich, obwohl es für mich überhaupt nicht okay war. Aber ich hatte keine Ahnung, wo ich war, und wusste nicht, wie ich nach Hause kommen sollte.
Shakys Wohnung war klein und gerammelt voll mit Leuten, und er brachte mich in sein Schlafzimmer, wo ich warten sollte, bis er etwas erledigt hatte. Kurz darauf kam er mit einem Bier für mich zurück.
Ich sagte: »Wenn du mich nicht auf der Stelle nach Hause bringst, gehe ich zu Fuß« – wir waren wahrscheinlich mit dem Roller zehn Minuten von meinem Haus entfernt. Ich hatte Glück, er zuckte mit den Schultern, drehte sich um, und wir gingen. Als wir an meine Auffahrt kamen, stieg ich ab, ohne mich zu verabschieden, und stürmte hinein.
Ich war wütend und brannte darauf, Meredith davon zu erzählen. Sie seufzte. »Das tut mir so leid. Dasselbe hat er mit meiner Freundin Sophie probiert. Aber er war so zuverlässig an dem Abend, als unsere Freundin krank war, ich vertraue ihm immer noch.«
Danach hatte Meredith eine Idee. Sie ging immer mit einer Gruppe Freundinnen aus und fühlte sich in dem Rudel geschützt. Doch da sie wusste, dass ich oft allein unterwegs war, sagte sie: »Wenn du nachts in die Villa zurückkommst, und ich bin nicht da, dann schick mir eine SMS, um mir mitzuteilen, dass du sicher nach Hause gekommen bist.«
Zu wissen, dass sie Hilfe holen würde, sobald ihr klarwurde, dass etwas nicht in Ordnung war, wenn sie nichts von mir hörte, war tröstlich.
An einem Abend, als in der Bar nicht viel los war, beschloss Patrick, früh zu schließen. Ich schrieb Meredith eine SMS. Sie teilte mir mit, wir sollten uns am Brunnen vor dem duomo treffen, drei Minuten entfernt.
Als ich mir meinen Weg durch die Menge betrunkener Studenten auf der Piazza IV Novembre bahnte, entdeckte ich zwei unserer Nachbarn von unten, Marco und Giacomo, die mir ein Bier reichten. Ich zwängte mich durch das Gedränge, um Meredith zu finden, und als wir wieder zu den Jungs kamen, stellten sie uns einen Freund vor, der als Kind von der Elfenbeinküste nach Italien gezogen war. Er hieß
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