Zeit, gehört zu werden (German Edition)
angeturnt, anfing, Meredith zu vergewaltigen. Anstatt Meredith zu helfen, taten wir uns unerklärlicherweise spontan mit Guede zusammen, weil »es uns sexuell erregte und wir es ausprobieren wollten, auch wenn es nicht geplant war«, schrieb er. »… die kriminellen Handlungen wurden aus purem Zufall verübt. Motiviert war die Tat durch sexuelle Lustbefriedigung und Gewalt, und nachdem Rudy den Tatvorsatz gefasst hatte, fand er in Amanda Knox und Raffaele Sollecito aktive Mittäter.«
Die Urteilsbegründung wies die Behauptung der Anklage zurück, das Verhältnis zwischen Meredith und mir sei gespannt gewesen. Der Richter schrieb, dass »das Verbrechen … ohne Hass oder Groll gegen das Opfer begangen wurde …«
Es wurde eingeräumt, dass es keine Beweise für einen Kontakt zwischen Guede und mir gab – weder E-Mails, Telefonanrufe noch Aussagen von Augenzeugen. Die Aussage von Hekuran Kokomani, dem Zeugen, der vor dem Untersuchungsgericht und der ersten Instanz bekundet hatte, er habe mich mit Oliven beworfen, und der mich anhand der nichtexistierenden Zahnlücke »identifiziert« hatte, ließ man unberücksichtigt. Und man hielt Raffaele und mich nicht für naheliegende Mörder. Wir seien eher »zwei junge Leute, die einander sehr anziehend fanden, mit einer intellektuellen und kulturellen Wissbegierde, er kurz vor der Promotion, sie mit vielseitigen Neigungen …«
Trotzdem, so die Urteilsbegründung, beschlossen Raffaele und ich, »bei einer Tat mitzuwirken, die darauf abzielte, Meredith, mit der insbesondere Amanda eng befreundet war, gefügig zu machen, bis zu dem Punkt, dass ihr Tod herbeigeführt wurde … der Vorsatz, eine extreme Gewalttat zu verüben, wurde in die Tat umgesetzt. Man kann davon ausgehen, dass dem Tatvorsatz der Konsum von Drogen vorausging, was laut Amandas Aussage ebenfalls an diesem Abend stattfand.«
Weiter hieß es: »Daraus lässt sich schließen, dass Amanda Knox und Raffaele Sollecito, die regelmäßig Drogen konsumierten und an ihre Wirkung gewöhnt waren, sich aktiv an Rudys kriminellen Handlungen beteiligten, die darauf abzielten, Meredith gefügig zu machen, sie ihrem Willen zu unterwerfen und es Rudy so zu ermöglichen, seine sexuellen Triebe auszuleben …«
Erschwerend wirkte sich ebenfalls aus, so der Richter weiter, dass Raffaele und ich Comics lasen und Filme sahen, »in denen Sexualität von Gewalt und angstvollen Situationen begleitet ist …« Ferner stellte er die Theorie auf, dass ich Raffaeles Küchenmesser in meiner »sehr geräumigen Tasche« mitgebracht hatte. Warum hätte ich das tun sollen? »Im Hinblick auf Raffaeles Vorliebe für Messer ist es wahrscheinlich, dass Raffaele Sollecito seine Freundin Amanda dazu gebracht hatte, ein Messer mit sich zu führen …, wenn sie nachts auf Straßen unterwegs war, wo man als Frau nicht sicher war.«
Das Futter meiner Tasche wies keinerlei Schnitte auf. Die Polizei hat in meiner Tasche kein Blut gefunden. Wie kann ich etwas beweisen, das ich nicht getan habe?
Die Staatsanwaltschaft stützte den Fall auf fehlinterpretierte und unsaubere forensische Beweise und verließ sich größtenteils auf Spekulationen. Richter Massei glaubte blind daran. Patrizia Stefanoni würde keine »Fehlinterpretationen und falschen Auslegungen liefern«, schrieb er.
War er wirklich so naiv?
Das Berufungsverfahren war keine Wiederholung des ersten Prozesses. In Italien gibt es wie in den Vereinigten Staaten drei Ebenen der Gerichtsbarkeit – die erste Instanz, das Berufungsgericht und das oberste Gericht, die corte di c assazione . In Italien muss jemand wie ich durch alle drei Instanzen gehen, bis hinauf zur corte di cassazione , deren Urteil endgültig ist.
Bei Gerichtsfällen gibt es oft Drehungen und Wendungen, die in anderen Rechtssystemen unbekannt sind. Selbst wenn man in der ersten Instanz freigesprochen wird, kann die Staatsanwaltschaft das Urteil durch das Berufungsgericht aufheben lassen. Wenn man vom Berufungsgericht für schuldig befunden wird, kann das Strafmaß erhöht werden. Oder das Berufungsgericht kann eine Überprüfung für unnötig erachten und das Verfahren gleich an die corte di cassazione weiterverweisen, damit sie das Urteil der ersten Instanz endgültig bestätigt – in Raffaeles und meinem Fall unsere Haftstrafen von fünfundzwanzig bzw. sechsundzwanzig Jahren. In jeder Instanz ist das Urteil amtlich und wird mit sofortiger Wirkung vollstreckt, außer die nächste Instanz hebt es auf.
In Italien wird
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